Dieses Buch besitzt Lehrbuchcharakter. Sein Thema: die WÜRDE des Menschen. Schon im Titel ist das Wort WÜRDE farblich und durch Versalien typografisch hervorgehoben. Die Frageform spricht (Vor)Leser direkt an und fordert zum genauen Betrachten des Titelbildes heraus. Darauf begegnen sich ein Kind, ein alter Mann und ein Hund vor einem Abfallbehälter mit Flaschen. Alle Bildelemente sind schablonenhaft ausgeführt und tauchen im Buch wiederholt auf. Die Farbe Rotbraun sticht aus der Beige-Braun-Grau-Schwarz-getönten Illustration signalhaft heraus.
Auf 12 Doppelseiten – klassische Bleistiftzeichnungen, die digital mit Farbflächen und gescannten Texturen überdeckt sind – gestaltet Krejtschi im Stil des Titelbildes Alltagsszenen an verschiedenen Orten, wie z. B. Turnhalle, Restaurant, Krankenzimmer, Umkleide-, Zuschauer- oder Warteraum. Zum Figurenensemble gehören Schulkinder, Kellner, Ärzte, Musiker, Obdachlose, Beamte oder Analphabetinnen. Hier wird jemand bewusst übersehen, dort wegen körperlicher Merkmale verlacht, andernorts wegen kultureller Andersartigkeit beleidigt. Ins Bild gesetzt sind: Ausgrenzung, Demütigung, Mobbing, Scham, Armut, Hilflosigkeit. Jede Doppelseite stellt eine Figur der vorherigen Seite in eine zweite neue Rolle und Konfliktsituation. Diese lässt sich bei eingehender Betrachtung entschlüsseln und in Beziehung zur Titelfrage setzen. Wer die Bilder nicht entschlüsseln kann oder will, bekommt Hilfestellung durch einen erklärenden Aussagesatz und eine zugehörige Frage, die der Titelfrage verwandt ist. Wie nötig der manchmal zu eindimensionale Text ist, mag jeder selbst entscheiden. Der gesellschaftspolitische Ansatz des Buches überzeugt und liegt auf der Hand. Er zielt auf gegenwärtige Entwicklungen vor unserer Tür und weltweit, fordert einen menschenwürdigen Umgang mit Hilfebedürftigen, egal ob Nachbarinnen, Hungernden oder Geflüchteten. Angesprochen ist jeder Einzelne, aber gleichermaßen der Staat, der z. B. in der Bundesrepublik durch den obersten Verfassungsgrundsatz verpflichtet ist, die WÜRDE jedes Menschen zu wahren.
„Was WÜRDEst du tun?“ provoziert die Überprüfung eigenen Verhaltens in Vergangenheit und Gegenwart, könnte aber auch mögliches zukünftiges Handeln mental vorbereiten. Da alle Bilder an Erfahrungen der Betrachter anknüpfen, sind sie als Gesprächsanlässe im Unterricht bestens geeignet. Überdeckt man die Texte und gibt sie separat aus, wäre es spannend zu sehen, welcher Text welchem Bild zugeordnet würde.
(Der Rote Elefant 35, 2017)