In einem englischen Dorf ohne Zukunftsperspektiven für Jugendliche ist Baumklettern das große Thema: Hier können Jungen und Mädchen beweisen, dass sie „Reichweite“ haben. Der 15-jährige Hilly ist der beste Kletterer im Dorf und lässt das alle wissen, insbesondere Nottingham, den Neuen – ebenfalls ein guter Kletterer – den er als Bedrohung empfindet. Obwohl sich zwischen beiden eine gewisse Sympathie entwickelt, gipfelt ihre Rivalität in einem schweren, unbeabsichtigten Sturz Nottinghams.
Für den ambivalent gezeichneten Ich-Erzähler dreht sich alles um Selbstbehauptung bzw. die Verteidigung seiner Vorrangstellung in der Gruppe. Daraus entwickeln sich Fragen nach Loyalität, Freundschaft, Solidarität und ob es etwas gibt, das mehr zählt als Sieger zu sein. Gestreift werden dabei familiäre und soziale Probleme. Nottingham sucht vor seinem gewalttätigen Vater Zuflucht bei Verwandten; Hillys alleinerziehende Mutter hat einen schlecht bezahlten Job, sein arbeitsloser Bruder ein Alkoholproblem; die Mutter von Hillys bester Freundin ist krank und Mia hat schlechte Noten.
„Klettern“ ist ein reizvolles, relativ unverbrauchtes Bild für das allgemeine Streben nach Erfolg, Anerkennung und Ruhm. Gleichzeitig eröffnet es eine authentische Sphäre der Jugendlichen mit Riten, eigenem Kodex und Vokabular. So zählt z. B. ein Fuß am Boden bereits als Fallen und der/die Erstbesteiger*in darf einem Baum einen Namen geben.
Hilly erzählt rückblickend in 22 kurzen Kapiteln und sechs gut strukturierten Teilen, welche originell und Neugier weckend nach Kletterbäumen benannt sind. Formal ist das Buch durch das „Super lesbar“-Label der Gulliver-Reihe geprägt: knappe, einfache Sprache, altersgemäße Wortwahl, übersichtliches, lesefreundliches Layout. Damit ist die novellenartige Geschichte auch bestens für ungeübte Leser*innen geeignet. Da sie auf zugängliche Weise einen jugendlichen Mikrokosmos schildert, der Interesse weckt, Identifikations- und Distanzierungsmöglichkeiten anbietet und eine sogartige Spannung aufbaut, bietet sich Klettern als Klassenlektüre an. Gemeinsam könnte darüber diskutiert werden, unter welchen gesellschaftlichen und persönlichen Bedingungen die Geschichte anders hätte enden können.