Das kann ja ein Sommer werden! Da die Mutter in New York einen Unfall hatte und der Vater zu ihr fliegt, muss die 12-jährige Martha mit den jüngeren Brüdern Mats und Mikkel zur Oma nach Sommerby. Martha kennt diese Oma kaum, weil Oma und die Eltern aus irgendwelchen Gründen zerstritten sind. Als Oma die Ankommenden für Eindringlinge hält und sie mit einem Gewehr bedroht, es im Haus weder Fernsehen, Telefon, geschweige denn W-LAN gibt, scheint ein schrecklicher Sommer garantiert. Alles ist anders als in Hamburg. Menschen sind selten, dafür gibt es jede Menge Tiere: auf der Weide Kühe, im Garten Gänse und Hühner, im Haus den umtriebigen Kater Tiger. Ständig kocht Oma Marmelade und wenn es regnet, unterhält nur das Radio. Doch dann passieren seltsame Dinge: Mats‘ Kuschelhund Schröderson ist plötzlich ohne Kopf, ein wiederholt auftauchender Mann im Anzug bietet viel Geld für Omas Haus, bei einer abenteuerlichen Bootsfahrt entdeckt Martha ihr Interesse für ältere Jungs, Omas Schuppen wird verwüstet und schließlich verschwindet auch noch Mikkel … Letztlich wird es für die Figuren ein überaus abwechslungsreicher Sommer, an dem viele Leser*innen teilhaben sollten!
Ohne zu romantisieren, erzählt Kirsten Boie davon, wie heilsam es für Stadtkinder sein kann, die Hektik der Großstadt mal hinter sich zu lassen und ohne gewohnte Annehmlichkeiten ein naturnahes Leben zu führen. Dazu gehören auch Pflichten, die Kinder zwar herausfordern, aber auch reifen lassen. Erneut beweist Boie die Fähigkeit, sich in die Gedanken- und Gefühlswelt von Kindern zu versetzen. Eine überschauende Erzählerin führt Sommerby im 1. Kapitel als attraktiven Ort ein. Da die Figuren anfangs anderer Meinung sind, erzeugt sie damit sofort eine Spannung zwischen ihnen und den Leser*innen. Die erzählerische Annäherung an die kindlichen Protagonist*innen (12, 7, 4) erfolgt behutsam-vermutend. Besonders in den Dialogen trifft die Erzählerin deren jeweilige sprachliche Möglichkeiten. Wenn Mats den Decoder „Köder“ nennt oder Oma mit Einheimischen Plattdeutsch spricht, das den Enkeln unbekannt ist, vermittelt sich Boies Freude an Wortspielen und am Dialekt. Auch Marthas neuer türkischstämmiger Freund snackt Platt, womit Boie Interkulturalität als deutsche Realität – auch auf dem Land – benennt. Zusätzliche Spannung liefert eine kleine Krimi-Story, mit der Boie ihre Feriengeschichte „dekoriert“. In deren Verlauf stehen Enkel und Oma, die es anfangs schwer miteinander hatten, fest zusammen. „Falllösung“ und Enkel-Oma-Beziehung ermöglichen eine Familienaussprache, worin verschiedene Wertvorstellungen zum Ausdruck kommen. Boies Botschaft: Es kann viel besser sein, sich auf die wesentlichen, vermeintlich einfachen Dinge des Lebens zu besinnen als nach finanziellem Reichtum zu streben. Ohne Konflikte geht es dabei nicht ab, weder in der Familie, noch in der Gesellschaft. Auch davon erzählt Ein Sommer in Sommerby.
(Der Rote Elefant 36, 2018)