„Genauso wie der Künstler ein unstillbares Verlangen zu malen in sich fühlt und der Poet seinen Gedanken freien Lauf lassen muss, fühlte ich mich gedrängt von einem unbezwinglichen Wunsch, die Welt zu sehen.“ Die Worte stammen von Ida Pfeiffer (1797 – 1858), der ersten Frau, die allein und ohne Geldvermögen um die Welt reiste. Ihre literarischen Berichte machten die Wienerin berühmt und verschafften ihr die Mittel für nächste Reisen. Ihr Ruhm verblasste mit den Jahren. Die Leipziger Illustratorin Linda Schwalbe holt durch ihr Bilderbuchdebüt Ida Pfeiffer zurück ins heutige Bewusstsein und ermutigt damit auch Kinder, an ihren Träumen festzuhalten, lebenslang. Mit leuchtenden Acrylfarben und spielerischen Formen gestaltet sie bildgewaltig, was der sparsame Text nur andeutet: Das wilde, ungestüme Mädchen Ida sehnt sich nach der Welt hinter den Bergen Wiens, erfindet mit den älteren Brüdern phantasievolle Expeditionen hoch hinaus in Bäume oder tief hinunter in Höhlen. Insekten, Würmer, Pflanzen – alles kommt unter die Lupe. Für die Mutter schickt sich so ein Benehmen nicht. In der Epoche des Biedermeier gibt es feste Rollen. Ida nimmt mit abenteuerhungrigem Bedauern wahr, wie die Brüder hinausziehen in die Welt. Sie jedoch muss häuslich werden, heiraten und Kinder gebären. An dieser Stelle bricht die Künstlerin den großzügigen Bildaufbau ab, lässt dunkle und gedeckte Farbtöne vorherrschen. Fernrohrbildern gleich, geben sechs Kreise preis, wie Ida gezähmt wird bis, eine Seite weiter, zwei breite übereinanderliegende Bildstreifen vom schnurgeraden Lebenslauf des jungen Mädchens hin zur Mutter künden. Als die Kinder aus dem Haus sind, erinnert sich Ida ihrer Träume und plant die erste Weltreise. Gelborange füllt nun wieder die Seiten, bleibt Leitfarbe auch in den Bildern voller Reiseabenteuer, geordnet in drei Kapitel. Jedes startet mit ganzseitigen Bildern in intensiven Gelbtönen. Der Wortbedeutung von „illustrare“ entsprechend „erleuchtet“ und „erhellt“ die Illustratorin mit malerischen Szenen, was das Leben Ida Pfeiffers prägte. Vor- und Nachsatz böten einen Einstieg in das Buch, fordern sie doch im Sinne Idas zum „Entdecken“ heraus. Das Vorsatz-Mosaik präsentiert Fundstücke, Mitbringsel, Porträtskizzen, die allesamt in Schwalbes Bildern wiederzufinden sind; allein das Fernrohr mehrmals. Auf dem Nachsatz finden sich innerhalb einer Weltkarte Idas Routen zweier Weltreisen. Das Ganze ist gerahmt von verschieden großen Vierecken, die Schwalbes Farbpalette darstellen. Ermittelt werden könnte, mit welcher Farbe die Künstlerin was im Leben Ida Pfeiffers einfärbte und was das über die Porträtierte erzählt.
(Der Rote Elefant 38, 2020)