Sherlock Holmes, der geniale Meisterdetektiv aus der Feder von Arthur Conan Doyle, ist ein Mythos. In 4 Romanen und 56 Erzählungen schuf Doyle eine Detektivfigur, welche die Kriminalliteratur nachhaltig prägte. Mit Informationen über Holmes’ Vergangenheit hielt sich Doyle jedoch zurück. Sherlocks Familiengeschichte blieb ein Geheimnis, das zum Gegenstand verschiedenster Spekulationen wurde und den Mythos um ihn nährte.
Die Handlung setzt nach dem vermeintlichen Tod von Holmes im Jahre 1891 ein und wird durch Cecils stimmungsvolle Blauschwarz-Weiß-Illustrationen passend düster illustriert. Es mehren sich die Behauptungen, der verbrecherische Professor Moriarty sei ein Hirngespinst des Meisterdetektivs gewesen, um sich selbst und seinen Kampf gegen den „Napoleon des Verbrechens“ unsterblich zu machen. Dies versucht Holmes‘ treuer Begleiter Dr. Watson zu entkräften und begibt sich auf eine Reise in die Vergangenheit seines Freundes, den er gut zu kennen meinte. Das hellere, in Sepia gehaltene, knapp 50 Jahre früher spielende Kapitel bricht die dunkle Grundstimmung und kündet von vergangenen, glücklicheren Zeiten.
Die Geschichte ist voller Anspielungen, die den Holmes-Kenner erfreuen. Ihr ist aber auch ohne Vorwissen gut zu folgen, alle relevanten Informationen sind geschickt in die Handlung eingeflochten. Das Original im Auge behaltend, gelingt es Brunschwig, der Figur des Holmes neue Facetten abzugewinnen und Conan Doyle selbst auftreten zu lassen. Cecil erinnert mit seiner Reminiszenz an die ersten, Ende des 19. Jh. entstandenen, Holmes-Illustrationen und ermöglicht dem Betrachter einen detailverliebten Blick in die viktorianische Epoche.
Holmes‘ Familiengeschichte entpuppt sich als spannender Kriminalfall, den Dr. Watson lösen muss. Dieser begegnet geheimnisvollen Personen, die sich als außergewöhnlich mehrdimensionale Comic-Charaktere erweisen. So erfährt man erst nach und nach Einzelheiten und erahnt emotionale Abgründe aller Figuren.
Die fotografisch-filmischen Einstellungen und Bildkompositionen entwickeln einen mitreißenden Erzählfluss ‒ genannt sei hier beispielhaft eine Kutschwettfahrt, die zwischen Totalansichten und Gesichtern der Beteiligten hin und her springt. Szenische Schnitte und Wechsel von Weitwinkel- und Porträit-„Aufnahmen“ erzeugen ein abwechslungsreiches „Lese“vergnügen. Jugendlichen wird mit vorliegender graphic novel ein ästhetisches Angebot gemacht, das über Manga-Adaptionen und aktuelle Holmes-Filme hinausgeht. Lobend erwähnt seien das großzügige Format und die ansprechende, Neugier weckende Covergestaltung.
(Der Rote Elefant 31, 2013)