„ ,Woah, der Papa hat die beste Tomatensoße gemacht, die ich je gegessen hab.‘ ‒ ,Na, der ist doch auch Italiener.‘“ Solche und andere gut gemeinte, aber unbedachte Äußerungen hinterfragt die in Münster geborene Künstlerin Lucia Zamolo in ihrem humorvoll-lehrreichen Buch. Dabei schöpft sie aus persönlichen Erfahrungen mit Alltagsrassismus, Intoleranz, Mikroaggressionen oder Diskriminierung und überträgt diese auf ihr etwa 10-jähriges Alter-Ego. Ausgangspunkt ist die häufig an Menschen mit nichtdeutschen Wurzeln gerichtete Frage, woher sie denn kämen. Was impliziert diese Frage und welcher Diskurs entspinnt sich daraus, wenn die Antwort „aus Münster“ vom Fragenden nicht akzeptiert wird? Mittels dieses Frage-Antwort-Prinzips, das sich wie ein Gespräch mit einer guten Freundin liest, versucht Zamolo ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass es in manchen Situationen besser wäre, mal eine Frage lieber nicht zu stellen und zu akzeptieren, dass es nicht für alles und alle bestimmte „Schubladen“ gibt. Anschaulich vermittelt sich, was ein Migrationshintergrund ist und was es bedeutet, einen zu haben bzw. auf sich projiziert zu bekommen. Ein Protagonist fasst dies so zusammen: „In Deutschland bin ich Portugiese, in Portugal Deutscher.“
In Gestaltung und Layout ähnelt das Sachbilderbuch einem Comic, wobei sich Text und zarte Buntstiftillustrationen assoziativ aufeinander beziehen. So begleitet z. B. eine Schublade im Bild Schubladendenken im Text. Die Texte kommen z. T. als Sprechblasen oder Textblöcke über, unter oder neben den Illustrationen daher, manchmal auch als Flowchart. Entsprechend der Identitätssuche des literarischen Ichs ist der Text – wie das Tagebuch eines Teenagers – handschriftlich gestaltet, wobei sich dieses (noch) nicht entscheiden kann, ob es die geschwungene, in der Schule erlernte Schrift verwenden oder eine individuell entwickelte, „erwachsene“ Handschrift benutzen soll.
Auf den ersten Blick erscheint diese Mischung etwas wirr, untersetzt aber damit ästhetisch das Anliegen der Künstlerin, genauer hinzusehen und sich auf komplexe psychologische Sachverhalte und soziale Gefüge einzulassen. Auf der letzten Seite betont Zamolo den Wunsch, ihr Buch als „Anstups“ zu verstehen, sich intensiver mit dem Thema (Alltags-)Rassismus zu beschäftigen. Und so ist die „beste Tomatensoße“ des italienischen Papas nichts anderes als das Halbfabrikat „Miracoli“.
Dem Buch-Prinzip entsprechend könnten ausgewählte Fragen im Sachkundeunterricht oder bei Veranstaltungen kopiert ausgegeben werden, um mögliche Antworten zeichnerisch selbst zu gestalten. Die Ergebnisse böten im Vergleich mit dem Buch sicher viel Diskussionsstoff.
(Der Rote Elefant 40, 2022)