Alles Weiß, dann eine schwarze Nase, und zwei Augen – „Da ist ein Eisbär im Schnee“. Er schnuppert, erwacht und macht sich auf den Weg, vorbei an Robben, Schneefüchsen und einem Mann. Es zieht ihn zum offenen Meer. Dort wird er spielen, im Wasser toben und sich mit den Fischen im Sonnenschein tummeln. Hat er genug, so klettert er zurück aufs Eis und trabt davon. Wohin? „Wer weiß?“ Zurück bleibt nur eine Tatzenspur im Schnee.
Minimalistisch ist der Text des US-amerikanischen Kinderbuchautors Mac Barnett, der mit wenigen kurzen Fragen und Aussagen auskommt. Wie ein Refrain werden die Sätze „Da ist ein Eisbär im Schnee“ und „Wo geht er hin?“ wiederholt. Das Bilderbuch mit seinem schlichten Text lebt von der Illustrationskunst des ebenfalls US-amerikanischen Künstlers Shawn Harris. Der englische Titel „A Polar Bear in the Snow“ spielt auf einen Künstlerscherz an: eine weiße Leinwand, auf der nichts gemalt oder gezeichnet ist, auf der aber die Fantasie Raum bekommt. So ist auch die erste Seite des Buches rein weiß, was die Neugier weckt. Auf den folgenden Seiten schichtet Harris raues, strukturiertes Papier zu Schneelandschaften und spielt mit Licht und Schatten. Mit seinen meisterhaft ausgeführten Collagen aus geschnittenen oder grob zerrissenen Papieren erzeugt er dreidimensionale Tiefe. Abwechslungsreiche Perspektiven zeigen den Eisbären in seiner Einsamkeit, wenn er in der Ferne zu sehen ist, oder in seiner Gefährlichkeit, wenn er das Maul aufreißt und den Betrachter fast anspringt. Mit schwarzer Tinte gesetzte Akzente verleihen den Tieren Gesichter oder ergänzen Konturen und bieten so einen Kontrast zum vorherrschenden Weiß des arktischen Lebensraums.
Als der Eisbär ins Meer eintaucht, ändert sich die Farbgebung in helles Blau und Türkis. Das Purzelbaumschlagen und der Tanz im Sonnenschein zeigen idealisiert die Lebensfreude des Bären und sein Einssein mit der Natur. Auf den letzten beiden Seiten öffnet sich eine weitere Dimension: Die Spur im Schnee, die sich in der Ferne verliert, stimmt nachdenklich-melancholisch und könnte auch auf das drohende Aussterben der Art hindeuten.
Für seine Collagen-Kunst hat das National Museum of Wildlife Art Shawn Harris mit dem Bull-Bransom Award ausgezeichnet.
Ausgehend von der letzten Frage im Buch: „Wohin geht er dann?“ können die Kinder selbst collagieren und bildkünstlerische Antworten finden.
