„Katharina war weg. Auf den Schulhöfen hatten sich die Jungs in kahlrasierte Schläger verwandelt. Und ihre Führer galten als die neuen Sexsymbole einer ganzen Generation, die meine war“, resümiert Ich-Erzählerin Mimi in Manja Präkels Debütroman und meint damit Verwerfungen in der DDR nach der „Wende“. 1989 ist Mimi, einst treue Jungpionierin, 15 Jahre alt. Auch Manja Präkels wurde 1974 geboren und wuchs wie ihre Protagonistin in einer brandenburgischen Kleinstadt an der Havel auf. Laut Autorin sind bestimmte Episoden aus Kindheit und Jugend zwar autobiographisch grundiert, aber die Figuren hätten während des Schreibprozesses ihr Eigenleben entwickelt. Am Beispiel der Kinderfreunde Mimi und Oliver, die sich bei Familienfeiern heimlich Schnapskirschen teilten, zeigt die Autorin, wie aus Freunden erbitterte Gegner werden. Während Oliver (später „Hitler“) zum gefürchteten Anführer der Neonaziszene aufsteigt, berichtet Mimi als Reporterin einer Lokalzeitung über eben diese Szene und bringt sich dadurch wiederholt in Gefahr. Die Situation eskaliert, als ein Freund bei einem Überfall auf die alternative Disco „Wolfshöhle“ von rechten Schlägern ermordet wird. Für Mimi ein traumatisches Erlebnis, das sie nicht loslässt.
Als präzise Beobachterin seziert Präkels Protagonistin die wachsende Orientierungslosigkeit von Jugendlichen, aber auch Erwachsenen, in einer Zeit, in der sich Werte und Normen in rasantem Tempo auflösten, zumal sich die gesellschaftlichen Veränderungen in den Alltag jeder Familie einschlichen. Ich-bezogene Existenzangst bereitete den Boden dafür, Gewalt gegen Ausländer und jede Art von Andersdenkenden zu dulden bzw. sogar als psychische Entlastung zu erfahren. Aber nicht die (bekannten) Fakten beeindrucken an Präkels Buch, sondern wie unfassbare Brutalität literarisch vermittelt wird. Dafür arbeitet sie mit abrupten Wechseln zwischen Banalität und Eskalation, Gedankensprüngen oder Abbrüchen plastisch beschriebener Situationen. So entstehen Risse im Erzählten, Schnitte wie Wunden, welche zunehmendes Abstumpfen gegenüber einem wertschätzenden Miteinander veranschaulichen. Der Roman lässt ahnen, warum eine rechtspopulistische Partei wie die AfD so viel Zuspruch erhält. Für alle politisch-zeithistorisch Interessierten ab 16 Jahren bietet das Buch Anlass, bei Zeitzeugen in der eigenen Familie kritisch nachzufragen: Wie war das „damals“, als in Sprechchören „Gorbi! Gorbi“ gebrüllt wurde? Wie konkretisierte sich die im Fernsehen verfolgte Weltpolitik im Alltag? Und: Welche Hoffnungen und/oder Ängste bestimmten die Wendezeit?
(Der Rote Elefant 36, 2018)