Marius kommt nach den Sommerferien in die 6. Klasse. Er hat ein gespanntes Verhältnis zu seinem Vater, der als Pilot ständig in der Welt umherfliegt und nie wirklich für ihn da ist. Auch der Mutter und dem pubertierenden Bruder kann Marius seine Sehnsüchte, Freuden, Ängste und Sorgen nicht anvertrauen. Marius‘ engster Vertrauter ist daher der liebevolle Großvater, der in einem großartigen Haus hinter den Dünen wohnt und mit dem Marius über alles reden kann. Mit Opa baut Marius den prächtigsten, riesigsten tetraedischen Kastendrachen, gemeinsam beobachten sie Meer und Sternenhimmel. Unweit von Opas Haus liegen jedoch eine „Irrenklinik“ und ein verlassenes „Aufseherhaus“. Die spannend-gruslige Umgebung ängstigt Marius, zieht ihn aber auch magisch an. Bei seinen Erkundungen erfährt Marius dort ein Geheimnis, das seine Angst vor „Vogelkacke“, einem angriffslustigen Jungen in einer knallroten Jacke, und eine Opa belastende Kindheitsgeschichte miteinander verbindet. Der Bitte um Aufklärung kommt Opa nicht nach, aber er hinterlässt dem Enkel einen wichtigen Brief, den dieser nach dessen Tod erhält.
Die vier Kapitel, jedes einer Jahreszeit zugeordnet, stehen gleichnishaft für Werden und Vergehen, für stetigen Wandel, sei es in der Natur oder im Leben der Menschen. So nähern sich nach dem Tod des Großvaters Vater und Sohn wieder an, was Leser früh ahnen können, da sich das Motiv des „Fliegens“ leitmotivisch durch den Text zieht, egal ob Marius Möwen oder Sterne beobachtet. Kongenial von Rolf Erdorf übersetzt, vermittelt sich über die poetische Sprache des niederländischen Autors Marco Kunst, insbesondere über die sinnlichen Beschreibungen der Nordseeküste, die Gefühls-, Gedanken- und Traumwelt seines Protagonisten. Hautnah erleben die Leser die Streifzüge des sensiblen, nachdenklichen Jungen, spüren Sand, Wind und Wellen, riechen salzige Meeresluft und betreten verwitterte Holzstufen. Die zurückhaltenden Schwarz-Weiß Zeichnungen von Philip Hopman nehmen diese Stimmungen auf und lassen Raum für eigene Bilder.
Einen Impuls für den kreativen Umgang mit dem Buch liefert ein literarisches Bild, welches Umzugskartons auf dem aufgeräumten Dachboden des Großvaters betrifft. Jeder Karton trägt den Namen eines Familienmitgliedes. In Erwartung des Todes hatte der Großvater diese für jeden Zurückbleibenden bestückt. Nach der Lektüre des Buches könnten entsprechende Kartons bereitstehen und mit Gegenständen, Eigenschaften und Figurenbeschreibungen gefüllt werden. Im Anschluss laden die Inhalte der Kartons zu einem Austausch über das mit dem „Luchs“ ausgezeichnete Buch ein.
(Der Rote Elefant 33, 2015)