Die 15-jährige Cassie ist verschwunden. Einige Wochen zuvor hat sie Fitz, mit dem sie in einer Band spielt, zum ersten Mal von einem summenden Geräusch berichtet, das sie seit Beginn des neuen Lockdowns hört. Cassie erzählte Fitz auch von einem „neuen Sound“, an dem sie als Musikerin arbeitet. Nach dem Lockdown spielt die Band Cassies Song mit dem neuen Sound zum ersten Mal. Cassie betitelt ihn mit Wut. Schlagzeuger Fitz und Bassist George sind begeistert. Nicht so Leadsänger Francis: Wie viele ihrer Klassenkamerad*innen mobbt er Cassie. Bei der Probe bezeichnet er sie als Spinnerin und fordert Fitz auf, ihm zuzustimmen. Als Fitz dies tut, geht Cassie wortlos. Erschrocken über seinen Verrat, beschließt Fitz, künftig aufrichtig zu sein. Er entschlüsselt eine für ihn bestimmte Nachricht Cassies, die ihm verrät, wo sie ist: am Cape Wrath, dem nordwestlichen Ende Schottlands. 

Marcus Sedgwicks 2022 erschienener Roman ist eine klassische Coming-of-Age-Geschichte aus der Reihe Super lesbar. Sie lässt ihren Ich-Erzähler Fitz von der Freundschaft, den Spannungen und der wachsenden Liebe zwischen ihm und Cassie erzählen. Eindringlich werden die Auswirkungen der Lockdowns dargestellt: „Zweifel und Unsicherheit“ ersetzen „Gewohnheiten“; das sinnliche und zeitliche Empfinden verändert sich. Der Lockdown erscheint „ewig“, Fitz kann „die Stille hören“. Cassie hingegen hört immer wieder das summende Geräusch, das sie für den Atem der Erde hält. Sie macht sich große Sorgen um die Natur und erkennt, dass die Erde nichts ist, was die Menschen besitzen können. Das Summen, das sie hört, erklärt der Autor mit dem physikalischen Phänomen der Schumann-Resonanz, einer niederfrequenten Vibration in der Erdatmosphäre.  

Die auf wenige Tage konzentrierte Handlung ist sogartig gestaltet: Erzählt wird aus Fitz’ Perspektive, in einfachen, kurzen Sätzen, SMS-Nachrichten einbeziehend und direkt an die Leser*innen adressiert. Nach vielen Rückblenden dreht die Geschichte nach vorn: In langen Passagen und reich an eindrucksvollen Naturbildern ist die Fahrt ans Cape Wrath beschrieben. Hier, am „Ende der Welt“, verbinden sich Natur und Musik metaphorisch. Fitz, der Drummer, beschreibt das Anbranden der Wellen „als hätte ein Gott mit seiner Hand auf eine Trommel in Erd-Größe geschlagen“. Inhaltlich werden hier zentrale Romanmotive aufgelöst: Cassie benennt das Summen als „Nachricht“ der Erde, nicht gegen sie zu kämpfen. Fitz entziffert auf einer Tafel das Wort „wrath“ (im Original der Titel des Romans), das im Englischen Zorn, im Altnordischen aber „Wende-Punkt“ bedeutet. Die Reise wird zum Wendepunkt: für Cassie und Fitz, für Cassie und die Beziehung zu ihren oft streitenden und zu viel arbeitenden Eltern, für die Band und, so die Hoffnung, vielleicht auch für die Umwelt. 

Mit Jugendlichen könnte man über das Gefühl der Wut sprechen: Was macht sie wütend? Wie gehen sie mit dieser Wut um? Und welche Rolle spielt diese ihrer Ansicht nach für individuelle und gesellschaftliche Veränderungen?