Die Historikerin Maren Gottschalk hat die vollständig vorliegenden Briefe und Tagebücher aus dem Familiennachlass studiert und ausgewertet und mit Augenzeugen gesprochen. Sie verglich Zitate und prüfte Aussagen früherer Biografien anhand der Originale. Ihre Erkenntnisse legt sie dieser Biografie für junge Leute zugrunde und geht der Frage nach: Wann und wodurch wurde aus dem überzeugten Hitlerjugend-Mädchen die mutige Widerstandskämpferin Sophie Scholl? Warum sind manche Menschen zum Widerstand fähig, andere nicht? Ist es eine Frage der Erziehung, der Intelligenz oder lediglich des Temperaments?
Warum haben die meisten Deutschen die nationalsozialistischen Verbrechen hingenommen? In dreizehn Kapiteln, gerahmt von Prolog und Epilog sucht Gottschalk, die bereits Biografien für Jugendliche über Nelson Mandela, Astrid Lindgren und Frida Kahlo veröffentlichte, nach Antworten.
In der Schule fällt die Siebenjährige durch selbstbewusstes Eintreten für bestrafte Schulkameraden auf. Sophie hält sich selbst nicht für „die Bravste“. Früh weicht der bürgerlich-liberale Einfluss der Eltern dem der schmissigen Reden nationalsozialistischer Politiker. Sophies Empfänglichkeit für pathetische Worthülsen schreibt die Autorin dem Zeitgeist der 30iger Jahre zu, ordnet sie aber auch als allgemeingültige Entwicklungsphase ein. Gedanken und Gefühle der 14-Jährigen umkreisen Lebenssinn und Geschlechterbeziehung, so dass der nach Selbständigkeit strebenden Sophie die ersten Zeichen für die Verbrechen des Hitlerregimes entgehen. Gründe für Umdenken und widerständiges Handeln sieht die Autorin in den prägenden Erfahrungen aus dem Reichsarbeitsdienst (RAD) und in den sich offenbarenden Kriegsfolgen. Die 19jährige Kindergärtnerin erlebt Drill, Unfreiheit und Dumpfheit. In den Briefen von Fritz Hartnagel, Wehrmachtsoffizier an der Ostfront, liest sie von Mordaktionen und verhungernden russischen Gefangenen. Immer tiefer gerät Sophie in einen Zwiespalt zwischen ihren Vorstellungen von der Welt und den alltäglichen Erfahrungen. Als sie 1942 in München Philosophie studiert, öffnet sich ihr eine neue intellektuelle Welt. An nächtlichen Debatten und heimlichen Widerstandsaktionen des Bruders Hans und seiner Freunde nimmt Sophie zunehmend aktiver teil. Nach der Schlacht von Stalingrad wirkt sie ernst und in sich gekehrt. Ihrer Freundin bekennt sie: „Wenn jeder nur eine Meinung hat gegen dieses System, aber nicht handelt, so macht er sich schuldig … Ich jedenfalls will nicht schuldig werden.“
Das Buch erfordert einen geübten und erfahrenen Leser, der bereit ist, Persönlichkeit und Zeitgeschichte zusammenzudenken. Er wird belohnt mit der glaubwürdigen Schilderung einer Biografie und einem überzeugenden Einblick in die Arbeitsweise der Autorin.
(Der Rote Elefant 31, 2013)