Timur, Held dieser liebenswerten Geschichte, ist ausgesprochen wissbegierig. Ständig löchert er seine Mutter mit Fragen, z. B. nach der Herkunft verschiedener Haushaltsgeräte. Manchmal weiß diese keine Antwort. Darum erfindet sie Herrn Kubin, der – im Mittelalter lebend – aus Liebe zur schönen Agatha Dinge erfindet, die der Angebeteten das Leben leichter und schöner machen: z. B. den Stockfeger, den Wäschetrocknungsstrick oder das tragbare Regendach.
Aus Schüchternheit jedoch legt Herr Kubin die Gaben nur heimlich vor Agathas Tür. Als ein Nachbar um Agathas Hand wirbt, die Mutter aber keine Idee hat, wie Herrn Kubin zu helfen ist, muss Timur handeln: er begibt sich direkt an den Ort des Geschehens und steht Herrn Kubin zur Seite.
Marlies Bardelis Liebeserklärung an alle Liebenden nebst Plädoyer für Fantasie, Kreativität und Mut wechselt zwischen Rahmenhandlung und historischen Binnengeschichten.
Die absurd-originelle Zeitreise, worin ein Kind einem Erwachsenen in Liebesdingen auf die Sprünge hilft, hat Humor, Tempo und ist durch viele Dialoge kurzweilig erzählt. Timur wird vom passiven Zuhörer zum aktiven Gestalter, auch wenn diese Wanderung zwischen den Welten nur eine (Weitererzählung) im Kopf ist. Letztlich mischt auch noch der Vater mit. Gemeinsames Geschichtenerfinden bereichert somit nicht nur die Geschichten selbst, sondern auch die Beziehung zwischen Erzählern und Zuhörern.
Bereits das Cover signalisiert Verschränkung der (Erzähl-)Ebenen: Aus dem Fenster einer modernen Küche weitet sich der Blick auf eine Landschaft. Dort sitzt auf einem Stein ein sympathisch wirkender Mann in historischer Kleidung. Zu ihm neigt sich aus der Küche heraus ein Junge, beider Welten verbindend.
Bemerkenswert: beide begegnen einander auf Augenhöhe, der schüchtern-lächelnde Erwachsene, das auffordernd blickende Kind. Anke Kuhls stimmungsvolle Bilder illustrieren – abgesehen vom Cover – nur Timurs Perspektive. Farbigkeit und Stil erinnern an Tafeln aus der Manessischen Handschrift. Auf ockerfarbenem Grund sind sechs ganzseitige Szenen in ornamentgeschmückten Rahmen gestaltet. Der verschmitzt lächelnde Timur ist stets dabei. Seine Sicht scheint grafisch auf den Gestus der Figuren übertragen zu sein: z. B. schaukelt die erwachsene Agatha mit stiller Hingabe wie ein kleines Mädchen.
Als Einstieg in die Geschichte könnten merkwürdige Begriffe für angeblich historische Erfindungen stehen: Was sind Stockfeger, Wäschetrocknungsstricke oder tragbare Regen-dächer? Warum könnte jemand solche Dinge erfunden haben? Das Buch gibt Auskunft.
Aber: Gibt es auch heute noch Menschen wie Herrn Kubin, also Erfinder aus lauter Liebe?
(Der Rote Elefant 28, 2010)