Auf dem farbigen Cover stehen zwei Jungen vor offener Tür: Der Jüngere, Hände in den Hosentaschen, schielt leicht fragend zum Älteren. Der Ältere, nur in Badehose und mit Schwimmkappe, blickt etwas großspurig auf den Kleinen herab. Um sie herum kleben an der Wand, wie mit Tesa befestigt, gezeichnete Bilder von sechs Kindern, Passfotos ähnlich. Helle Stellen zeigen, da gab es noch mehr … Dem ist so, wie das Buch belegt. Obwohl dem 9-jährigen Toon und dem 11-jährigen Jan von den Eltern versprochen wurde, so bald kein neues Pflegekind mehr aufzunehmen, ist keine Woche später Rufus da. Ein Notfall. Weil es ihnen so gut gehe, müssten sie teilen, meinen die Eltern. Darum sind sie eine Pflegefamilie – ein Ersatz für „gestrandete“ Kinder. Diese Ansicht teilen die Söhne nicht unbedingt. Besonders Jan, der ehrgeizige Sportschwimmer, klagt über fehlende Beachtung und rebelliert.
Zentrale Themen des Buches von Martha Heesen sind Toleranz, Verständnis, Respekt und Liebe. In sechs Kapiteln lässt die preisgekrönte niederländische Autorin den 9-jährigen Toon Momentaufnahmen aus dem Familienalltag erzählen, wobei er im Laufe von ca. einem Jahr acht Pflegekinder unterschiedlichen Alters erlebte. Toon berichtet über sechs. Sein Rückblick, angereichert mit lebendigen Dialogen, spiegelt seine Gefühle, Erlebnisse und Erfahrungen nachvollzieh- und nacherlebbar wider. Er erzählt von schönen, freudigen, aber auch traurigen und verstörenden Momenten, wobei die Familie mehrmals an die Grenzen der Belastbarkeit kommt. Aber Aufgeben ist keine Option. Da Toon von den „Neuen“ nur weiß, was sie selbst mitteilen, erfahren die Leser wenig über die Schicksale der Pflegekinder. Was Leser jedoch erleben, ist die beispielhaft unvoreingenommene Art, mit der Toon ihnen begegnet. Er interessiert sich für sie und findet durch seine respektvoll-liebenswürdige Art schnell einen Zugang – anders als sein pubertärer Bruder Jan.
Maja Bohns Schwarz-Weiß-Zeichnungen, mal in den Text eingebettet, mal ganzseitig, geben vorrangig emotionale bzw. zugespitzte Situationen wieder. Die Cover-Porträts der sechs Pflegekinder, worin deren Persönlichkeiten mit wenigen Strichen eingefangen sind, finden sich als Vignetten im Inhaltsverzeichnis und vor jedem Kapitel wieder.
Für eine Bucheinführung wäre das Cover als assoziativer Einstieg sinnvoll. Was verrät es über das Buch? Nach ausgewählten Lesestellen könnte dann darüber gesprochen werden, ob sich Kinder ein solches Familienmodell vorstellen könnten. Teilen sie eher Toons oder Jans Auffassungen? Da das Buch offen endet, stellt sich die Frage: Wie könnte es weitergehen?
(Der Rote Elefant 35, 2017)