Standardsituation, Elfmeter, spielentscheidender Strafstoß. Vielleicht läuft dann alles reflexartig ab, vielleicht aber schießt dem Spieler – wie es für den Augenblick des Todes behauptet wird – in Bruchteilen von Sekunden noch einmal sein bisheriges Fußballerleben durch den Kopf. So wie es Kurz geschieht. Ein bockiger Junge war er, zu Hause und dann auf dem Spielfeld, sein Lieblingssatz: „Ist mir doch egal!“ Doch einen Mordsschuss hatte er, dem verdankte er auch seine Karriere. Jetzt der Elfmeter! Vorbei! Spiel verloren! Aber der Schuss war so gewaltig, dass der Ball nach einer ganzen Weltumseglung (vielleicht der WM 2006 geschuldet) wieder auf dem Platz landet und ins Tor rollt. Nur gemerkt hat es keiner. Einige visuelle Anspielungen auf bestimmte Fußballerpersönlichkeiten (Netzer, Breitner, Helmut Schön) sind vielleicht nur noch Fußballhistorikern zugänglich. Aber das Buch ist ja auch „unseren Vätern“ gewidmet. Abgesehen von solchen Spielchen für Kenner sind aber Bild und Text auch für heutige Leser und Kinder voller Witz und Ironie und voller intelligenter Anspielungen auf das Milieu von Spielern und Fans. Das Stichwort „Ist mir doch egal“ wird vielen Kindern bekannt vorkommen, so dass man daraus auch ein Spiel machen könnte: Ein Kind erfindet eine Situation, die in eine Warnung oder Drohung mündet, und das andere Kind findet einen passenden Ton für „Ist mir doch egal“.
Eine ältere Ausgabe des gleichen Titels hatte einen anderen Schluss. Kurz verschießt. Der Torwart hat sich gegen alle Regeln nicht in eine Ecke geworfen und den Ball gehalten. Aber am nächsten Wochenende ist wieder ein Spiel. Für diese Ausgabe (Alibaba 1997) hatte Baltscheit selbst gezeichnet, mit groben Strichen, heftigen Farben, überraschenden Perspektiven. Es entspricht stilistisch dem Hörspiel, das die Begleitfiguren „Fritz, Walter und den schönen Helmut“ (!) im besten Ruhrpottjargon über Fußball und dessen Vermarktung schwadronieren lässt. Mit Einblendungen von Stadionsprecher, Radioreporter und Fangesängen sowie rockiger Musik (ebenfalls Baltscheit) und mehreren Liedern geht’s auch hier sehr unterhaltsam und stimmungsvoll zur Sache. Das 2006 erschienene Buch wirkt dagegen abstrakter, reduzierter, bleibt aber gerade dadurch näher an dem Hauptmotiv, dem unverwechselbaren Charakter des eigenwilligen kleinen Kurz.
(Der Rote Elefant 24, 2006)