Wer nicht richtig zuhört, verirrt sich. Und dann kommt, laut Murri-Aborigines, das Krokodil: das Symbol für Schwierigkeiten. Aber gilt das noch im heutigen Australien? Hunderte Stämme wurden enteignet, durften ihre Kultur lange nicht leben, noch immer gibt es Ungleichheit und Vorurteile. Der namenlose Ich-Erzähler versperrt sich alten Riten. Im gewaltgeprägten Reservat wird der Teenager zunehmend mutlos, so dass die Großfamilie spart, um ihn zu Verwandten nach Sydney zu schicken. Erst dort lernt er langsam, seine Kultur und sich selber zu lieben.
Kraftvoll und symbolhaft erzählen zwei preisgekrönte australische Künstler von einer (inneren) Reise, geben Einblicke in das magische Denken der Aborigines, das auch Menschen hierzulande zu inspirieren vermag. Die weiße Autorin Meme McDonald und Boori Monti Pryor, Nachfahr der Ureinwohner, verarbeiteten eigene Erfahrungen, aber auch Gespräche mit Australier(inne)n verschiedenster Herkunft, darunter Aborigines des Happy Valley Reservats, aus dem auch der fiktive Protagonist stammt. Dessen Stimme ist so poetisch eindringlich, dass man das zuweilen nachlässige deutsche Lektorat gerne übersieht: „Unsere alten Leute, die geben dir Dinge mit auf den Weg. Da fragst du nicht nach, du verlässt dich drauf, dass du sie schon verstehen wirst, wenn die Zeit kommt.“ Der Teenager ist zu Buchbeginn bereits im Bus gen Big Smoke. Retrospektiv erzählt er vom Reservat, von Tante Milly, die ihn fortschickt, damit er stark genug wird um zurückzukommen, die selbst in prügelnden Bulleymen (Polizisten) Gutes sieht und dem Jungen einschärft, sich nie seiner Herkunft zu schämen. In Sydney trifft der Teenager Entwurzelte jeder Hautfarbe, erkennt eigenen Reichtum durch eine weiße Freundin, die kaum Kontakt zu den Eltern hat. So hat er selbst doch eine liebende Großfamilie, zu der auch eine weiße Tante, eine Migaloo, gehört. Seinen Weg findet er jedoch erst, als er sieht, wie sein Onkel Schülern die Lebensweise der Aborigines in Erzählung und Tanz vermittelt. Er ist überwältigt von deren Offenheit und stolz auf sein Volk, dessen Kultur er nun bewahren will: Eine „Kultur, die wirkt wie Medizin“ für Verlorene jeglicher Hautfarbe. Er tanzt für sie den Jungen, der sich dem Krokodil stellt und kann durch diese Arbeit sogar Geld ins Reservat schicken. Endlich akzeptiert er den Namen, den ihm die Alten einst traditionell am Lagerfeuer gaben: Njunjul, die „Sonne“.
(Der Rote Elefant 33, 2015)