Das Tage-Buch des heute 91-jährigen Priesters Michał Skibiński, in Format und Gestaltung einem Schulheft nachempfunden, basiert auf „Sätzen“ aus dem Sommer 1939. Der damals 8-Jährige verbrachte die Ferien ohne Eltern in und nahe Warschau bei den Großeltern. Um in die 2. Klasse versetzt zu werden, erteilte ihm die Lehrerin den Auftrag, jeden Tag einen Satz über seine Erlebnisse aufzuschreiben. So entstanden vom 15. Juli bis 15. September 63 Sätze. Dazwischen lag der 1. September 1939, an dem die deutsche Wehrmacht Polen überfiel. Entsprechend dem Konzept des Buches als Zeitzeugnis wurden die polnischen Tagebuch-Einträge in kindlicher Schreibschrift übernommen, was dem Buch neben der Authentizität eine starke emotionale Wirkung verleiht. Die deutschen Übersetzungen stehen merklich kleiner darunter bzw. sind farblich angepasst in die 48 doppelseitigen Illustrationen eingefügt, so dass sich das Buch (fast) ohne deutsche Sätze „lesen“ ließe. Andererseits spiegeln Kürze und Lakonie der Sätze das Leben eines Kindes im Hier und Jetzt wider, etwa eine Sekunde („Ich habe einen schönen Specht gesehen“) oder einen Tag („Ich war im Auto unterwegs“). Nach Kriegsausbruch bleibt deren Kargheit bestehen, aber die Angst des Kindes scheint auf: „Ich habe mich vor den Flugzeugen versteckt“. Die Differenz zwischen dem inneren Erleben eines 8-Jährigen und dessen Unvermögen, dieses sprachlich fassen zu können, überbrücken stimmungsvolle, farbintensive, mit breitem Pinsel gemalte expressive Bilder, in denen – im Gegensatz zum Text – keine Menschen vorkommen. Erlebt das Kind anfangs eine unendlich scheinende lichtgelbe Zeit voller Sonne und Wärme in hellem Blau und Grün für Bach, Himmel, Wiesen und Bäume, so verändern sich Sujets und Farben zum Ende des Sommers hin. Gewitter am Horizont erscheinen als drohende Vorboten, später lohen rote Feuer zwischen verkohlt wirkenden Baumstämmen. Am 9.9. protokolliert der Junge ein Flugzeug, das Bild zeigt nur den Nachthimmel mit Mond, der von Wolken gleich bedeckt sein wird. Aus dem Nachsatz ist neben weiteren Auskünften über den Autor und die erzählte Zeit zu erfahren, dass an diesem Tag Michałs Vater als Bomberpilot ums Leben kam. Bedauerlicherweise fehlen Informationen über die polnische Künstlerin Helena Stiasny, die hier unter dem Pseudonym Ala Bankroft veröffentlicht.
Gerade ihre Bilder bestimmen maßgeblich die Gesamtwirkung des anspruchsvollen Buches, das Kindern einen emotionalen Zugang zu Michałs Wahrnehmungen und damit zu Kriegsgeschehen überhaupt nahebringt. Trotzdem wäre gemeinsames Lesen und Betrachten mit Erwachsenen und Zeitzeugen, gerade auch angesichts aktuell geführter Kriege, nachdrücklich angeraten.
(Der Rote Elefant 40, 2022)