„,Träumst du?‘, fragt mich Papa manchmal“. Gefragt ist ein kleines Mädchen, das ungekämmt vor einer Tasse Tee am Tisch sitzt und einfach lächelnd ins Blaue guckt. Dort taucht ein Fisch auf. „Aber ich denke nur nach“ ist in roter (Hand-)Schrift zu lesen. Tee, Fisch und Wangen des Mädchens sind ebenfalls rot. Ausgelöst durch die Frage des Vaters stellt sich das Kind nun seinerseits Fragen: „Was denken die anderen? Und woher kommen die Träume? Von den Sternen? Oder aus dem Meer?“.
Bilder, die der kindlichen Phantasie entspringen könnten, geben mögliche Antworten: Eine Frau sitzt im (roten) Sternenkleid auf einer Wolke und strickt aus ihrem blauen Haar den Schal des Mädchens. Von einer Insel im schalblauen Meer verschickt ein Mann eine Flaschenpost. Die skizzenhaften Zeichnungen scheinen sich auf dem weißen Papier zu bewegen und bilden gleichsam eine „Partitur“ des Denkens (und Träumens): Das Schwarz des Zeichenstifts konturiert und rhythmisiert. Farbige Flächen und der schwungvolle Strich der Wachsmalkreide geben den Vorstellungen Raum und Dynamik. Die Komplementärfarben Rot und Blau bleiben bestimmend. Weitere Farben kommen hinzu, wenn etwa die schlechten Träume giftgrün aus dem Hexentopf quellen oder die Protagonistin mit goldgelber Krone ein Pferd besteigt.
Wiederkehrende Elemente schaffen traumtypische Verbindungen. Oft brauchen die Bilder keinen Text. Eingesetzt wird er nur, wenn neue Assoziations- oder Denkimpulse nötig sind. Der erfahrenen Illustratorin Miriam Zedelius gelingt hier auch als Autorin ein inhaltlich und formal schlüssiges Bilderbuch. Sie zeigt, wie lustvoll und erfindungsreich Erzählen in Bildern sein kann und schafft ein Gleichnis für mögliche phantastische (klein-)kindliche Wahrnehmungen. Die Verlagsempfehlung ab 2 Jahren ist dennoch fraglich, da vieles sich erst erschließt, wenn ein Kind „Ich“ sagen kann und Träumen bewusst erlebt.
Als kreativer Einstieg böte es sich natürlich an, selbst zu zeichnen, ohne die Illustrationen schon zu kennen. Es könnte gleich mit einer der Fragen losgehen, lassen diese doch meist so wunderbar viel Raum für die eigene Phantasie.
(Der Rote Elefant 35, 2017)