Wieso? Weshalb? Warum? Kinder wollen es meist ganz genau wissen und jede noch so ausgeklügelte Antwort beendet nicht unbedingt die Erklärungsnot der befragten Person. Besonders vor dem Schlafengehen kann dieses Frage-Antwort-Spiel das Lichtausschalten ungemein hinauszögern … Im vorliegenden Bilderbuch fragt ein Häschen am Ende des Tages die Mutter: „Bist du sicher, dass der Wolf nicht kommt?“. Mutter Hase findet auf jede noch so genaue Nachfrage eine Begründung dafür, dass der Wolf auf keinen Fall kommen wird! Als sie meint, das Hasenkind beruhigt ins Bett gebracht zu haben, klopft es an der Tür …
Myriam Ouyessads ausschließlich in Dialogform verfasster Text entspricht der Dynamik des Wortwechsels zwischen Mutter und Kind. Wird über den Text spürbar, wie die Mutter nach überzeugenden Antworten sucht, die das Kind sofort hinterfragt, ironisiert die Bildebene das Gesagte, wobei schon die Größe der ins Bild gesetzten Situationen von Bedeutung ist. Während kleinere Illustrationen die Situation im Kinderzimmer mit allen dazugehörigen Ritualen zeigen, werden auf der gegenüberliegenden Seite die mütterlichen Begründungen, warum der Wolf nicht kommen wird, ganzseitig ad absurdum geführt. Hier sieht man den Wolf in den verzwicktesten Situationen, die er gewitzt meistert, um dem Hasenkinderzimmer immer näher zu kommen.
Ronan Badel schafft es, mit leichtem Strich und ausschließlich in Rot-, Braun- und Blautönen Spannung aufzubauen und gleichzeitig eine Situationskomik zu kreieren, die kleine und große Leser*innen amüsieren wird. Der Wolf unter Stadthunden, die Blicke der tierischen und menschlichen Passanten oder sein Eindringen ins Haus sind urkomisch und bieten wunderbare Erzählanlässe. Dass (Vor)Leser- und Betrachter*innen mit Buchcover, Vorsatz und Titelblattillustration auf eine falsche Fährte geführt werden, ist das Sahnehäubchen des mit einer überraschenden Pointe aufwartenden Buches, denn am Ende stellt sich heraus: Der Grund, warum das Häschen so genau nachfragt, ist ein ganz anderer als vermutet … Dieser Aspekt sollte in einer Veranstaltung unbedingt aufgegriffen werden. Anhand der drei ersten Illustrationen ließen sich wunderbare Gruselassoziationen wecken, die dann mit dem Buch lachend zerstreut würden.
(Der Rote Elefant 38, 2020)