Der Untertitel dieser Anthologie lautet „Von Piraten, Stürmen und Klabautermännern“. Damit ist angedeutet, welcher Art Geschichten rund um die Seefahrt vorgestellt werden. Es werden historische Ereignisse erzählt, solche, bei denen die uralten und heute immer noch nicht ganz vermeidbaren Sturm- und Unwettergefahren selbst für große Schiffe das Thema sind. Schließlich gibt es noch die Ebene der abergläubischen Seemannsgeschichten, die ihre Wurzeln darin haben, dass das „Seemannslos“ oft von unwägbaren Zwischenfällen abhing. Autoren der Texte, manchmal auch Gedichte, oft Romanauszüge, sind die Großen der Weltliteratur: Jack London, Joseph Conrad, B. Traven, Daniel Defoe und andere. Neben den literarischen Texten finden sich auch einige Sachtexte wie ein Auszug aus dem Logbuch der „Bounty“ oder Passagen aus Thor Heyerdahls Bericht über seine waghalsige Floßreise mit der „Kon-Tiki“, die heute im Osloer Schifffahrtsmuseum aufbewahrt wird. Zur Veranschaulichung nicht nur der Situation auf der „Kon-Tiki,“ sondern auch zu fast allen anderen Geschichten dienen Vignetten und manchmal sehr dramatische Tuschezeichnungen des Illustrators, der, wie wir dem Nachwort entnehmen können, auch die Idee zu der Anthologie hatte. Der Sammlung vorangestellt ist ein Zitat von Antoine de Saint-Exupéry. „Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“ Das sagt einer, dessen Bücher hauptsächlich in der Wüste verortet sind.
Was kann heutige Jugendliche daran reizen, Geschichten zu lesen, die oft noch auf hölzernen Segelschiffen irgendwo auf damals kaum bekannten und nicht vermessenen Weltmeeren spielen? Ein gewisses literarisches Interesse vorausgesetzt, kann es schon ein Motiv sein, weltberühmte Autoren kennenzulernen, die zudem noch spannende Geschichten zu bieten haben. Aber vielleicht gibt es auch immer noch etwas wie die Sehnsucht, von der Saint-Exupéry spricht, eine Sehnsucht nach dem Unbekannten, nach der existentiellen Erfahrung, die sich nicht durch eine Wischbewegung auf dem Tablet befriedigen lässt. Und wenn dazu die Literatur etwas beitragen kann, ist das immer noch dem Bungee-Jumping vorzuziehen.
(Der Rote Elefant 34, 2016)