Es ist Abend. Ludwig und das Nashorn sitzen einträchtig beisammen auf dem Bett. Da kommt Papa ins Zimmer und behauptet, Ludwig würde sich das Nashorn nur einbilden. Auch bei seiner sich anschließenden Suche kann er es nicht finden. Aber ist das ein Beweis dafür, dass es nicht da ist? Der Mond ist ja schließlich auch nicht immer zu sehen und trotzdem da, hält Sohn Ludwig dagegen und teilt dem verzweifelnden Vater letztendlich fröhlich mit, dass er Philosoph werden wolle.
Was die Autorin betreibt, ist tatsächlich reinste Philosophie, Erkenntnistheorie, vielleicht sogar Formallogik, für Vor- und Grundschulkinder. Am Beispiel des Sohnes, der nicht zufällig Ludwig heißt, dessen Vaters und des Nashorns werden die Unmöglichkeit negativer Beweise und das sogenannte Induktionsproblem verdeutlicht. Es geht um die Zulässigkeit induktiver logischer Schlüsse bzw. der Frage: Kann aus empirischen Einzelfällen auf allgemeine Wahrheiten geschlossen werden? Diese hochtheoretische Fragestellung wird stimmig aus kindlichem Weltwissen heraus entwickelt.
„Ludwig und das Nashorn“ ist zunächst eine klassische Gutenachtgeschichte mit humorvoll-fantastischen Elementen. Ein spannungsreicher Widerspruch entsteht durch das vergnügliche Suchspiel mit dem Hinauszögern des Zubettgehens und der witzig verpackten, erkenntnistheoretischen Debatte zwischen Vater und Sohn. Der konsequent dialogische Text vermittelt dabei wie nebenher, dass Philosophie nicht Behauptung, sondern immer Diskurs ist.
Die Präsenz des freundlichen Nashorns im Bild und die Art und Weise, wie es sich der Wahrnehmung des Vaters immer wieder entzieht, wird durch das Künstlerduo Golden Cosmos (Doris Freigofas, Daniel Dolz) spektakulär inszeniert.
Die auffällige Farbgestaltung der witzigen Illustrationen, u. a. Siebdruckoptik, reizvolle Perspektivwechsel, effektvolle Strukturen, korrespondiert wunderbar mit dem aufregenden Denkspiel. So etwa, wenn der Vater, ohne es zu bemerken, das Horn des Tieres als Haken für ein Fernglas nutzt.
Der Umgang mit dem Buch ist auch ohne das klärende Nachwort zum (Ludwig)-Wittgenstein-Hintergrund möglich, denn die Geschichte lädt zum Fragen, Mitdenken und Mitdiskutieren ein. Als Einstieg zu einer Veranstaltung böten sich die Abbildungen vom Vor- und Nachsatzpapier für ein Memoryspiel an, wobei die jeweils gelb unterlegten Karten zeigen, was der Vater und die rot unterlegten, was Ludwig sieht. Worin unterscheidet sich dies und woran könnte das liegen?