Nicht zufällig heißt der Protagonist Fausto. Fausto ist der Faust der deutschen Sage, der Magier, der die letzten Rätsel der Schöpfung ergründen will und den der Teufel holt. Der Fausto des vorliegenden Bilderbuches „glaubte, ihm gehöre alles“. Seinem Diktat beugen sich Blume, Schaf, Baum, Wald und Feld … Allerdings zögert der See und der Berg verweigert sich, gibt dann aber doch nach. Nun muss Fausto noch das Meer unterwerfen. Aber das Meer verwickelt ihn in einen Disput, dem Fausto nicht gewachsen ist. Er ballt zornentbrannt die Faust und will mit dem Fuß aufstampfen, wie üblich. Aber geht das auf dem Meer? … Und das Meer „machte weiter wie bisher“ und mit ihm die von Fausto be„herr“schte Natur.
Der international renommierte Künstler schuf eine Parabel über Allmachtsphantasien und Unersättlichkeit, die kulturhistorisch und aktuell an vieles erinnert: z. B. an das Bibelwort „Macht euch die Erde untertan“, Schillers „Ring des Polykrates“, den Club of Rome und die „Grenzen des Wachstums“, die menschengemachte Klimakrise und die „Fridays for Future“-Bewegung. Das alles müssen kindliche Leser-/Betrachter*innen nicht wissen, um von der Stationen-Geschichte mit ihren stereotyp-komischen Kurz-Dialogen und den mimisch und gestisch wunderbar inszenierten Wutausbrüchen des Herrn Fausto gefesselt zu sein. Vielleicht erinnern sie sich an eigene Tobsuchtsanfälle oder auch die naher Erwachsener. „Bestimmer“ kennen Kinder sowieso. Wann aber ist ein Bogen überspannt und was folgt daraus?
Zu Recht wurde das vieldeutige, kunstvoll gestaltete Buch von der Stiftung Buchkunst für die Schönsten Bücher 2020 ausgewählt: „Die Bildkompositionen sind derart auf das Wesentliche konzentriert, dass großzügige Weißräume entstehen, die eine hintersinnige Spannung erzeugen – und allein durch ihre Gestaltung eine Antwort geben auf die Frage: „Wann ist es genug?“ (Jurybegründung). Die ästhetische Wirkung des preisgekrönten Buches beruht nicht zuletzt auf der Verwendung traditioneller Techniken (Lithografie, manueller Bleisatz u. a.). Interessierte sollten dazu im Copyright-Vermerk nachlesen. Dort steht auch der Originaltitel „The Fate of Fausto“. Zwar blieb im Deutschen der Anlaut erhalten (Fabel/Fausto), aber die Bedeutungsebene ging leider verloren. „Fate“ heißt „Schicksal“ und verweist somit darauf, dass der Mensch in seiner Hybris schicksalhaft scheitert – wie Fausto.
Da die Geschichte für sich spricht, sollte sie von Erwachsenen nicht kommentiert werden. Eher gälte es abzuwarten, wie Kinder darauf reagieren bzw. was sie in ihnen auslöst. Zu erfahren wäre, welches Wissen über die großen Probleme in dieser Welt bereits in den Köpfen von Kindern präsent ist. Darauf müssen dann die Erwachsenen reagieren.
(Der Rote Elefant 38, 2020)