Sieben Tage Mo
Illustration: Philip Waechter
176 Seiten
ab 11 Jahren
€ 16,00

Ein Jahr ist es her, dass die 12-jährigen Zwillingsbrüder Karl und Moritz, kurz Mo, mit ihren Eltern von der Stadt aufs Land gezogen sind. Die Familiensituation sollte sich dadurch entspannen und Mo, der eine geistige Behinderung hat, mehr Ruhe finden. Die Mutter ist wieder berufstätig, der Vater arbeitet im Ausland und kommt nur selten nach Hause. Das heißt, Karl ist an vier Nachmittagen pro Woche, gefühlte sieben Wochentage, für Mo verantwortlich. Er versucht die „Mo-Enge“ loszuwerden, indem er mit seinem Fahrrad durch die Gegend fährt. Und es gibt da Nida, ein Mädchen aus seiner Schule. Als Karl sich nicht für die Betreuung von Mo, sondern für die erste außerschulische Verabredung mit Nida entscheidet, eskaliert die Situation. Mo, allein zuhause, ertränkt seinen Therapiehamster, die Mutter macht Karl heftige Vorwürfe – und Karl explodiert. Erstmals äußert er deutlich seine Überforderung, und das bringt die ersehnte Befreiung: Die Eltern werden ihn entlasten und in Nida findet er eine Verbündete.

Oliver Scherz’ Roman, der auch als Hörbuch vorliegt, thematisiert differenziert „das besondere Zusammenleben mit einem Kind, das eine geistige Behinderung hat“, wie der Autor im Nachwort schreibt. Besonders die fehlenden Unterstützungsstrukturen und die gesellschaftliche Stigmatisierung – offene Ablehnung, peinliches Schweigen, Mitleid – werden offenbar. Sowohl Karl als auch Mo haben den Verdacht, dass auch ihr Vater Mo ausweicht. Was kann helfen? Der Roman gibt eine Antwort: Ehrlichkeit. Es ist Nida, die diese Eigenschaft von allen Figuren mit am stärksten verkörpert. Sie findet Mo „cool“.

Die auf wenige Tage komprimierte, aus Karls Perspektive erzählte, Geschichte beginnt in medias res: Mo steht auf dem Bahnübergang und weigert sich, diesen zu verlassen, auch als ein Zug kommt …

Temporeich laufen die Ereignisse ab. Die emotional aufgeladene, angespannte Grundsituation spiegelt sich auch in den Dialogen. Mos Ungehemmtheit und sein Unvermögen zur Selbstregulierung führt zu Dauerstress in der Familie. Sensibel und alle widerstreitenden Gefühle der Brüder zulassend, wird die komplexe Beziehung zwischen Karl und Mo beschrieben. Es überwiegt die große Zuneigung Karls: „Dann dachte ich überrascht, dass ich Mo manchmal vielleicht sogar mehr brauchte als er mich.“ Mo lässt seinen Gefühlen freien Lauf, Karl hat gelernt, sich zu kontrollieren. Seine Begegnungen mit Nida strahlen Ruhe und Leichtigkeit aus. In ihr hat er einen Gegenpol zur alltäglichen Überforderung gefunden.

Die Geschichte, ergänzt durch 12 schwarz-weiße Tusche-Bilder von Philip Waechter, ist reich an Aktionen und pointierten Dialogen. Sie könnte dazu einladen, die Figuren szenisch darzustellen. Wie fühlt es sich an, Mo, Karl oder Nida zu sein?

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