Die 9-jährige Alexa wohnt am Rande Londons. Sie muss mit dem Bus zur Endhaltestelle der U-Bahn fahren, um von dort in die City zu kommen. Aber so ein Abenteuer geschieht fast nie. Der Vater ist bei einem Autounfall gestorben und die Mutter, eine Indonesierin, arbeitet als Bibliothekarin. Sie beschafft Alexa aussortierte Hefte von Tim und Struppi, damit Alexa wenigstens mit diesen Helden Abenteuer erleben kann. Unerwartet gerät Alexa dann doch in ein ganz reales Abenteuer. Grund dafür ist Ahmet, der als unbegleitetes Flüchtlingskind aus einer kurdisch-syrischen Familie in die Klasse kommt. Alexa und drei Freunde kümmern sich um ihn, verteidigen ihn gegen Mobbing-Attacken des Mitschülers Brendan und wollen helfen, Ahmets Eltern wiederzufinden. Dabei kommt ihnen die „tollste Idee der Welt“: Sie wollen der Queen einen Brief mit Bitte um Unterstützung übergeben. Aufgrund einer turbulenten Aktion während einer Wachablösung vor dem Buckingham-Palast kommen die Kinder in die Medien und das Innenministerium wird aktiv. Die Eltern werden gefunden und dürfen über eine Familienzusammenführung nach England einreisen. Ein märchenhaftes Happy End!
Die englische Autorin, deren Familie aus Bangladesh stammt, ist gläubige Muslima und aktiv in der Flüchtlingshilfe tätig. Sie kennt den „Dschungel von Calais“ aus eigenem Erleben und will ihre Leser*innen mit ihrem Debüt anregen, sich zu informieren und zu engagieren. Dabei baut sie auf kindliches Gerechtigkeitsempfinden: der Held*innen und der Leser*innen. Eingebaut ist dies in eine Handlung, in der für die Londoner „Rand“-Kinder schon eine U-Bahnfahrt zum Abenteuer wird. Aus der Perspektive ihrer sehr naiven Ich-Erzählerin erscheint sogar glaubhaft, dass die Kinder bei ihrer Aktion eine Keksrolle mitnehmen, von der die Queen beim Tee vielleicht essen möchte.
Den z. T. aberwitzigen Ideen der Held*innen werden die Leser*innen gespannt und manchmal auch amüsiert folgen, aber dabei eine Reihe von Fakten mitlesen, die über die Abenteuerebene hinaus die Geschichte politisch grundieren, z. B. über das englische Schulsystem mit Schuluniformen und rigoroser Schulordnung, aber auch über die Situation von Geflüchteten, Fluchtursachen und -gefahren. Erst am Schluss erhellen sich familiäre Hintergründe: Alexas Großmutter floh aus Österreich vor den Nazis, die Eltern eines Freundes kommen aus den USA und die Mutter eines anderen aus Nigeria. Die Nachbarn sind auch keine Engländer und die Lehrerin heißt Mrs Khan. All dies verweist auf britische Normalität bzw. eine multikulturelle Gesellschaft. Die Aufnahme aktuell Geflüchteter – darüber informiert ein Anhang – ist in Großbritannien neben einer Reihe weiterer EU-Staaten jedoch eher restriktiv. Damit „erdet“ die Autorin ihr eigenes märchenhaftes Happy-End.
(Der Rote Elefant 38, 2020)