Roter Elefant

„Ich legte Opas Pfeife auf den Sarg und versuchte, Pleased to meet you zu pfeifen, brachte aber kaum mehr zustande als Schnodder und Tränen …“. Die etwa 13-jährige Vinga muss am Ende des Sommers den Tod des Großvaters verkraften. Bei Opa auf der Insel fühlte sie sich geborgen. Er machte nie leere Versprechungen, verstand den Kummer über die Scheidung der Eltern, tröstete ohne viele Worte. Hier konnte Vinga die traurige Mutter und die neue Familie des Vaters vergessen, über ihren Körper nachdenken, von einer Kapitäns-Zukunft träumen und sich in Geschichten über Wale und Albatrosse vertiefen. Auch Opas Schnigge-Geschenk machte sie glücklich. Tagsüber werkelte sie an dem kleinen, maroden Segelboot und abends führte sie ein Logbuch, ebenfalls eine Opa-Idee. Damit sie notieren können, wann und wie sie auf Wind und Wellen gewartet habe, und auch für Persönliches. Sehr persönlich ist die Freundschaft zur gleichaltrigen Rut, die das Leben auf der Insel öde findet, auf coole Trips in die Stadt Lust hat und mit ihren weichen Lippen in Vinga ein unbekanntes, „besonderes Gefühl“ anrührt. „Dass es jemanden gibt, der mich mag. Jemand, der weder Mama noch Opa ist. Und auch nicht Papa. Vielleicht hält es nur bis zum Ende des Sommers. Wahrscheinlich wird alles wieder wie sonst, wenn ich nach Hause komme. Und trotzdem …“

Oskar Kroon gelingt ein sprachlich und inhaltlich überzeugender Jugendroman, in dem er auf zurückhaltende Weise von den Irrungen und Wirrungen des Erwachsenwerdens erzählt. Dafür lässt er seine Ich-Erzählerin mal erinnernd rückblickend, mal gegenwärtig erzählen, was beim Lesen Nähe und Distanz ermöglicht. Einfühlsam gewährt Kroon Einblicke in das widersprüchliche Gefühlsleben des empfindsamen Mädchens, das sich zwischen Zärtlichkeit und Zorn, Verständnis und Vorurteil entwickelt. Mit der Figur des Großvaters gestaltet er den beispielhaften Vertreter einer Generation, die mit Gelassenheit und Weitsicht den Prozess des Erwachsenwerdens begleiten kann. In sieben Kapiteln entfaltet sich so ein Adoleszenzroman, der Themen und Konflikte Heranwachsender anspricht, aber nicht zerredet.

Um auf das Buch neugierig zu machen, hilft ein Titelspiel. Anhand von Wörtern aus dem Text lässt sich eine Geschichte vermuten. Die ersten Buchstaben der 13 Wörter ergeben den Buchtitel: 1.Wale, 2. Albatros,  3. Ruder, 4.Teekanne, 5. Eierbrot, 6. Neugeborenes, 7. Abschied, 8.Ufer, 9. Freundin, 10. Werkzeug, 11. Insel,  12. Nähe,  13. Dorf.

 

(Der rote Elefant 40, 2022)