„Neues vom König der niederländischen Kinderliteratur“ wirbt der Verlag. Ehrlich wäre: „Zu Recht Wiederentdecktes …“. Der Märchenroman stammt aus dem Jahre 1964, erschien 1981 unter dem Titel „Das Schlüsselkraut“ bei Benziger in Zürich und 1989 in der DDR. Paul Biegel (1925 – 2006), Autor von rund 50 Büchern für Kinder, war ein Kenner von Mythen und Märchen, deren Motive er literarisch virtuos neu verknüpfte.
„Eine Geschichte für den König“ spielt auf den Erzählanlass in „1001 Nacht“ an: Erzählen, um zu (über)leben. Hier muss ein einsamer, todkranker 1000jähriger König durch Geschichten so lange am Leben erhalten werden, bis der Arzt mit dem heilenden Schlüsselkraut vom Ende der Welt zurückkehrt. 13 Geschichten dauert die dafür notwendige Zeit. Die Erzähler sind meist Tiere, reichen von Hummeln über Stadt- und Feldmäuse bis hin zu Wolf und Drachen. Nacht für Nacht halten ihre mal parabelhaften, mal traurigen oder komischen Geschichten die Lebensgeister des Königs wach. Parallel dazu bevölkert sich der Erzählort Kupferberg. Bedingung für das Bleiben ist ein friedliches Miteinander. So paradiesisch umringt, vergisst der Vergessene Einsamkeit und Krankheit. Überdies geben vier Bücher, herbeigeschafft von einem Zwerg, dem König Erinnerungen und damit sein Selbstbewusstsein zurück. Sie enthalten nordische Mythen vom Anbeginn der Welt, erzählen vom Umgang mit (Boden)Schätzen, Habgier, Macht, Krieg und der Ankunft des ersten Menschen.
Wissend um kindliche Empathie schafft Biegel über den sterbenden König einen dramatischen Erzählrahmen, unterbrochen durch kurze Einschübe, die vom mühevollen Weg des Wunderdoktors berichten. Die Rahmenhandlung ist gekennzeichnet durch einen poetisch-melodisch-getragenen (Märchen)Erzählton. In den Binnengeschichten nutzt Biegel auch ironische Stilmittel, welche dem Leser Raum für Distanz, Assoziationen und eigene Wertung lassen. Auch einzeln sind diese zum Vorlesen geeignet. So plädiert Biegel literarisch vermittelt für eine kontinuierliche Weitergabe von Erfahrungen durch Erzählen, oral oder schriftlich: Bücher machen Überliefertes unverlierbar, im direkten Erzählen jedoch entwickelt sich das Einzelwesen zum „Gemeinwesen“.
Ist der Erzählrahmen „Überlistung des Todes durch Erzählen“ ‒ frei erzählt ‒ vorgestellt, bieten sich korrespondierende „List“-Geschichten der Binnenerzähler zur Leseverführung an. So erzählt z. B. der Wolf von seiner List gegen die heimtückische Echohexe oder der Eichhörnchenvater vom Austricksen einer habgierigen Giraffe.
(Der Rote Elefant 31, 2013)