Junge Mädchen heute „wachsen weithin ohne Einschränkungen auf und haben fast durchweg dieselben Chancen wie Jungen“. Hat die „weibliche Hälfte der Menschheit“ damit erreicht, was ihr zusteht? „Islamische Parallelgesellschaften“ hierzulande offenbaren: „Wir stehen wieder ganz am Anfang.“ Dieses Klischee bzw. allzu pessimistische Resümee der beiden Verfasserinnen (bekannte Fernsehjournalistinnen, Germanistin die eine, Dramaturgin die andere) konterkariert, was ihr Buch zuvor zu Tage fördert. Offeriert es doch reichhaltiges Material einer langen und anhaltenden „Geschichte des weiblichen Kampfes um Selbstbehauptung“.
Bei der Gliederung dieser Geschichte in einzelne Etappen – von der Antike über Mittelalter, Renaissance und Barock, bürgerliches Zeitalter, 19. und 20. Jahrhundert, Nationalsozialismus bis in die unmittelbare Gegenwart – vermischen sich zwar gesellschaftspolitische und kulturhistorische Zuordnungen. Doch stehen unter Überschriften wie „Ohne Recht und ohne Stimme“, „Der Kampf um Gleichberechtigung“ oder „Der Neuanfang nach 1945“ profunde Einführungen, die den Fokus besonders auf die nachteiligen Grundsituationen von Frauen und Mädchen in ihrer jeweiligen Epoche legen. Jeder Einleitung folgt eine Sammlung von Porträts zu Frauen, die sich alle – aus unterschiedlichsten sozialen Lagen heraus – durch Eigensinn und besondere Leistungen von Unterdrückung befreit bzw. Männerdomänen besetzt haben. Insgesamt sind es 56 Künstlerinnen, Wissenschaftlerinnen, Politikerinnen, Pädagoginnen, Widerständlerinnen. Die Auswahl ist bewusst subjektiv und konzentriert sich mit wenigen Ausnahmen auf Persönlichkeiten Westeuropas. Den Porträts liegt ein Raster zugrunde, das ihnen vierseitige Kürze auferlegt; streckenweise erzählerischer Duktus, Zitate, farbige Fotos und Abbildungen, am Ende je ein zusammenfassender Steckbrief (ggf. mit Werkangaben), machen aus ihnen aber mehr als nur sachliche Lexikonartikel. Diese wiederum regen in (fast) jedem Fall an, sich näher z. B. mit der Kaiserin Theophanu, Fanny Hensel, Sophie Scholl, Simone de Beauvoir oder Necla Kelek zu befassen. Als Nachschlagewerk ins Bücherregal gestellt, besser noch in Projekte eingebunden, dürfte der attraktive und wegweisende Band sogar manche männlichen Leser finden. Ein interdisziplinärer Ansatz für ein solches Projekt könnte sein, die Porträtierten nach ihren Fachgebieten (Politik, Naturwissenschaft, Kunst etc.) zu ordnen und Jugendliche entsprechend eigener Interessen auswählen zu lassen. Ergänzende Nachforschungen zu den spezifisch emanzipatorischen Leistungen der Frauen in ihrer Zeit könnten anschließend in einen aktuellen Kontext gestellt und der Begriff „Emanzipation“ genauer hinterfragt werden.
(Der Rote Elefant 28, 2010)