Habt ihr schon vom Wolf gehört?
Illustration: Quentin Gréban
Aus dem Französischen von Seraina Maria Sievi
32 Seiten
ab 5 Jahren
€ 14,95

Obgleich die Wölfin das kleine Lamm nur anlächelt, erschrickt es vor ihren spitzen Zähnen und erzählt den Schweinen, es sei von ihr angegriffen worden. Aus dieser Fehleinschätzung  entsteht ein Gerücht, das von Tier zu Tier weitergetragen und dabei immer stärker ausgeschmückt wird – bis es heißt: „Ein grausames Monster streift durch die Gegend und vernichtet jeden, der ihm in die Quere kommt!“ Zuletzt hört von diesem Wesen auch die Wölfin und wittert für sich selbst Gefahr. Als dunkle Wolken heraufziehen, es blitzt und donnert, rennt sie mit ihren Jungen panikartig davon.

Auf den Wolf als Märchenfigur anspielend (Rotkäppchen, Die drei kleinen Schweinchen), stellt Quentin Gréban Leser*innen die Eingangsfrage, warum alle dieses Tier für böse halten. Doch zielt seine originelle Bilderbuch-Geschichte nicht darauf ab, die geläufige „Böse“-Unterstellung zu hinterfragen. Vielmehr spürt der belgische Autor und Illustrator mittels einer (gesetzt) freundlichen, verkannten Protagonistin der Entstehung und Verbreitung von Falschaussagen – aktuell Fake News – nach. In den auktorial erzählenden Text sind jeweils fett gedruckt die sich zuspitzenden Aussagen verschiedener Tiere eingefügt: Benennen die Schweine die Zähne der Wölfin noch als Messer, sind sie bei der Gans schon Säbel. Wird anfangs von einem Angriff der Wölfin auf ein einzelnes Lamm berichtet, behaupten die nächsten, sie sei über eine ganze Herde Schafe hergefallen. Am Ende befänden sich gar „alle Tiere auf der Welt“ in Gefahr. Eine zu dieser Steigerung gleichsam gegenläufige Lesart bewirkt der Erzähler, indem er die Gerüchte-Passagen augenzwinkernd-lakonisch mit dem wiederkehrenden Satz kommentiert: „Eine Gans/ein Esel übertreibt (eben auch) immer ein bisschen.“

Dass sich die schon 2009 in Originalsprache und 2017 bei Orell Füssli auf Deutsch erschienene, inzwischen neu aufgelegte Geschichte mit Leichtigkeit und Spaß bereits jüngeren Kindern vermitteln lässt, ist nicht zuletzt Grébans Zeichenkunst zu verdanken. Die von ihm präsentierte Tierwelt, zart aquarelliert und teils mit kräftigen Akzenten versehen, besticht durch die ebenso natürlich (‚tierisch‘) wie ‚menschlich‘ wirkenden, ausdrucksstark porträtierten Figuren.

Geradezu lebendig mutet die den vermeintlichen Bedrohungslagen entsprechende Mimik und Gestik an. Abwechslungsreich sind die Tiere entweder ganzseitig in Ausschnitte ihrer Umgebungen gestellt oder großzügig auf weißem Hintergrund mit Textpassagen kombiniert.

Die Titelfrage des Buches lädt dazu ein, gemeinsam Annahmen und Kenntnisse „vom Wolf“ zu sammeln, bevor es ans (Vor-)Lesen und Reflektieren geht. Dramaturgie und Rollengestaltung der Geschichte machen große Lust, sie danach auch zu inszenieren.