„Alle Dinge sind dazu da, damit sie uns Bilder werden in irgendeinem Sinn.“ Ganz im Sinne Rilkes gab der Kindermann Verlag sein Gedicht „Das Karussell“ als Bilderbuch heraus, illustriert von Isabel Pin. Die Reihe „Poesie für Kinder“ will einen unbefangenen Zugang zu großen Dichtern ermöglichen. Neben Schiller, Goethe, Heine, Busch und Fontane nun Rilke. Es ist eine Herausforderung, Kindern „Das Karussell“ (Paris 1906) nahe zu bringen. Rilke erzählt keine Geschichte, sondern formuliert die Gedanken eines Erwachsenen beim Anblick eines Karussells. Bunte Pferde, ein roter Löwe, ein Hirsch „und dann und wann ein weißer Elefant“ kreisen an ihm vorbei, ganz ohne Ziel – ein Sinnbild der Kindheit. Doch auch einige der jungen Karussellfahrer sind „diesem Pferdesprunge / fast entwachsen“ und spüren das Ende der Kindertage nahen: „mitten in dem Schwunge / schauen sie auf, irgendwohin, herüber –“. Auf den ersten Blick scheinen Isabel Pins farbenfrohe, schlichte Illustrationen einen spielerisch leichten Gegenpol zu Rilkes philosophischen Versen zu setzen. Schablonenhafte Tiere springen über flächig bunte Seiten, mal schwingen sie ins Bild hinein, mal sind sie schon fast aus dem Blickfeld gekreist. Eine Frau spielt mit ihrem Hund, ein Mann mit Hut verkauft Luftballons. Schaut man genauer hin, entdeckt man jenen schwarzen Männerhut auf allen Seiten – mal auf dem Kragen eines Jungen, mal auf der Decke eines Karusselltieres. Eine Anspielung auf den Beobachter, etwa den Luftballonverkäufer? Oder ein Hinweis auf das nahende Ende der Kindheit der Karussellfahrer?
Isabel Pins Illustrationen stecken voller Anspielungen, bleiben dabei aber immer unaufdringlich und lassen dem Gedicht und dem Gedankenspiel der Leser viel Raum. Dabei hält Pin, die sogar Rilkes „Panther“ in ihre Illustrationen geschmuggelt hat, ein gutes Gleichgewicht zwischen eigener bildnerischer Interpretation und erklärendem Bebildern der abstrakten und für Kinder wohl schwer nachvollziehbaren Gedanken. So können auch die Kleinsten, die noch nicht ahnen, was es mit der Kindheit und „dem Land, / das lange zögert, eh es untergeht“ auf sich hat, das Karussellkreisen genießen. Am Ende des Buchs ist das Gedicht noch einmal in Gänze abgedruckt – eine sinnvolle Idee, denn auch wenn die Illustrationen die zunehmende Geschwindigkeit des Textes mit wild durcheinander springenden Figuren oder die Zeilensprünge mit ungewöhnlichen Bildausschnitten aufgreifen, kommen der besondere Rhythmus und die vollkommene Sprache Rilkes beim lauten Vorlesen des geschlossenen Textes am besten zur Geltung.
(Der Rote Elefant 26, 2008)