Samia Yusuf Omar war eine somalische Leichtathletin, die 2008 bei den Olympischen Spielen in Peking für ihr Land antrat. Aufnahmen im Internet zeigen ein junges Mädchen, das bis zum Schluss nicht aufgibt. In Somalia regelmäßig durch islamistische Extremisten bedroht, da deren Weltbild untersagt, dass Frauen Sport treiben, entschied sich Samia – aufgrund zunehmender Lebensgefahr und um die Familie materiell zu unterstützen – zur Flucht nach Europa. Ihr Traum: Die Teilnahme an den Olympischen Spielen 2012 in London. Doch Samia kam nie in Europa an. Wie inzwischen zehntausende Menschen ertrank sie im Mittelmeer.
Erneut legt Reinhard Kleist eine eindrucksvolle Biographie als Graphic Novel vor. Im Unterschied zu den bisherigen Protagonisten – Johnny Cash, Fidel Castro und Hertzko Haft („Der Boxer“, DJLP 2013, RE 31) – standen ihm über Samia Yusuf Omar nur wenige, z. T. widersprüchliche Informationen zur Verfügung. Details ihrer fast ein Jahr dauernden, todbringenden Odyssee konnte er nur aus (inzwischen gelöschten) facebook-Einträgen rekonstruieren und mit Erfahrungen anderer Geflüchteter abgleichen. Unterstützung fand er bei einer mit Samia befreundeten Journalistin und bei Samias Schwester, der 2006 die Flucht nach Finnland gelang.
Wie ein „blauer“ Faden durchziehen Samias facebook-Einträge das schwarz-weiß gestaltete Buch. Überwiegt darin anfangs die Zuversicht, die sportlichen Leistungen zu steigern (in Peking belegte sie in der Vorrunde den letzten Platz im 200-Meter-Lauf), dokumentieren sie in der Folge den ständigen Kampf zwischen Verzweiflung und Hoffnung. Kleists Bilder und darin eingefügte Dialoge ergänzen den Erzähltext auf eindringliche Weise. Neben der konsequenten Darstellung von Grausamkeiten, mit denen die Flüchtenden konfrontiert sind, schafft er auch Leerstellen, die den Betrachter zwingen, sich das Leid der Menschen zu vergegenwärtigen.
Ohne Pathos, erzählerisch und bildkünstlerisch überzeugend, vermittelt Kleist, wie viel Kraft und Durchsetzungsvermögen in der zerbrechlich wirkenden Samia gesteckt haben müssen, und setzt ihr damit ein nachhaltig wirkendes Denkmal.
Darüber hinaus gibt Kleist mit dem „Traum von Olympia“ auch den namenlos bleibenden Opfern von Schlepperbanden, deren Verbrechen ohne die unmenschliche Flüchtlingspolitik Europas unmöglich wären, ein Gesicht. Er macht deutlich, dass all die Flüchtenden weitaus gewichtigere Gründe haben, die Heimat zu verlassen, als frustrierten Europäern Kultur und Arbeit streitig zu machen.
(Der Rote Elefant 34, 2016)