Roter Elefant

Mit dem Eingeständnis, dass sie als über 90-Jährige nicht mehr jede Einzelheit im Gedächtnis habe, beginnt die Ich-Erzählerin ihren autobiografischen Bericht. Jedoch sei alles, was sie erzähle, geschehen. Rena Finder schildert ihr Leben in Krakau seit 1929, ihrem Geburtsjahr. Die latente Judenfeindlichkeit fiel ihr erst als Schulkind auf. Ab 1939 wurden täglich Gesetze erlassen, um die Bewegungsfreiheit jüdischer Menschen einzuschränken: Ausgangssperren, Verbote des Schulbesuchs oder der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Auch hatten Juden im Rinnstein zu gehen. Renas Familie musste ins Ghetto umziehen. Ihr Leben war wegen zahlloser Durchsuchungen und Transporte in Vernichtungslager ständig bedroht. 1942 zwangen die Nazis Rena und ihre Mutter ins Arbeitslager Plaszow, dessen Leiter Amon Göth für seine Grausamkeit berüchtigt war. Glücklicherweise gelangten die Namen von Rena und ihrer Mutter auf die „Schindlerliste“. Die Arbeit in Schindlers Emaillefabrik war Kräfte zehrend, garantierte aber das Überleben. Auch beobachtete Rena, wie subtil Schindler Nazi-Auflagen unterwanderte, z. B. ließ er überall Zigaretten liegen und wies Schwachen leichte Arbeiten zu. Als absehbar war, dass Deutschland den Krieg verlieren würde, gelang es Schindler durch Bestechungen, die Fabrik zu verlegen, so dass Rena und die Mutter erneut dem Vernichtungslager entgingen. Wertschätzend nennt Finder ihren Retter gegen Textende „Oskar“. Auch würdigt sie explizit Emilie Schindler, die im Keller ihres Hauses gequälten, verletzten und kranken Häftlingen medizinische und pflegerische Hilfe zukommen ließ.

Rena und ihre Mutter gehörten zu rund 1200 jüdischen Arbeiterinnen und Arbeitern, die dank Schindler überlebten. Für das „Mädchen auf Schindlers Liste“ Verpflichtung genug, nach ihrer USA-Übersiedlung lebenslang über den Holocaust aufzuklären. Erfahrungen aus Treffen mit jungen Menschen mündeten in vorliegendes Jugendbuch nebst direkter Leser*innen- Ansprache: „Der Holocaust sollte niemals in Vergessenheit geraten, und Derartiges darf niemals wieder geschehen – doch wie können wir uns dagegen absichern? Ihr, liebe Leser und Leserinnen, könnt dabei helfen. Wenn auch nur eine Person mutig genug ist, sich für Unschuldige einzusetzen, kann das bereits eine Menge sein … Mein Überleben habe ich einem Menschen zu verdanken, der sich weigerte, einfach nur zuzuschauen und nichts zu tun. Sein Name war Oskar Schindler.“

Rena Finders Bericht wird einer der letzten Zeitzeugen- Texte sein und verdient deshalb besondere Beachtung. Aufgrund seiner „Wahrheit“ kann er neben der Vermittlung historischer Einsichten auch präventiv gegen Geschichtsverfälschung und Rassismus wirken.

 

(Der Rote Elefant 40, 2022)