„Besonders alt, besonders schön, besonders arm – und natürlich besonders viel erlebt!“ So stellt sich Gisela der Familie von Toni vor. Eigentlich hatte die Familie den Hauptgewinn der Weihnachtslotterie erhofft. Oma hatte von einem Prinzen geträumt, Papa von einem Filmstar, Mama von einer Politikerin und Toni selbst von einem Fußballstar. Doch Gisela ist nicht der Hauptgewinn, sondern „nur“ der (im Kleingedruckten versprochene) garantierte, besondere Besuch. Trotz enttäuschter Erwartungen hält die Familie am vorbereiteten Weihnachtsprogramm für den Ehrengast fest: Begrüßungsrede, Plätzchenessen, Kirchgang, Gänsebraten, Bescherung und Tanz unterm Weihnachtsbaum. Am Ende sind alle glücklich. Und traurig, als Gisela geht. Doch sie verabschiedet sich mit einem weiteren Hinweis aufs Kleingedruckte …
Rieke Patwardhan und Lena Winkel gestalten in ihrem Bilderbuch ein unkonventionelles, überraschendes Weihnachtsfest mit Schwung und Humor. Mit Gisela stellen sie eine alleinstehende, ältere Frau in den Mittelpunkt ihrer Geschichte, die viel erlebt und zu erzählen hat. „Als junge Frau war sie mit einem Blumenbus durch die ganze Welt gereist, sie war auf Elefanten geritten, hatte in der Wüste gezeltet und war in den Rocky Mountains gerodelt. […] Drei Ehemänner hatte sie auch gehabt.“ Mit ihrer Lebenszugewandtheit bezaubert Gisela und zeigt ein besonderes Gespür für die Interessen und Bedürfnisse ihrer Gastfamilie.
Der Text erzählt konsequent rückblickend aus der Perspektive von Toni. Da Toni immer in Bewegung ist, wirkt die Erzählung, als fände sie zwischen den Dribbelübungen des Fußballfans statt. Diese Rasanz wird durch die detailreichen, dynamischen und an Karikaturen erinnernden Illustrationen unterstützt. Im Bild wird jedoch eine überschauende Perspektive eingenommen, sodass eine spannungsreiche Bild-Text-Beziehung entsteht. Heißt es im Text „Gisela kannte alle Weihnachtslieder und konnte sehr laut singen …“, zeigt die Illustration betretene Gesichter der anderen Kirchgänger ob der Inbrunst von Giselas Gesang.
„Weihnachten mit Gisela“ ist ein amüsantes, luftiges und sehr humorvolles Plädoyer für Offenheit und Toleranz und lässt darüber nachdenken, wie Gemeinschaft entstehen und gestaltet werden, dass Gastfreundschaft ein Gewinn für alle sein kann.
Im Austausch mit Kindern wäre es spannend zu erfahren, welchen Ehrengast sie sich als Hauptgewinn wünschen würden. Wer aber käme dafür nicht infrage – und warum?