Minimia ist ein stolzes Schulkind. Sie hat sogar einen Kalender für Treffen und Kurse: Die Woche ist echt voll! Nur die Sonntage sind langweilig. Vielleicht hat die Maus hinter der roten Tür eine Idee? Fehlanzeige! Vielleicht wissen andere Rat? Minimia krabbelt durch einen Tunnel bis zum Südpol, fliegt auf einem Papierflieger über den Ozean und klettert auf den Mond. Auf ihrem Weg spricht sie Kaninchen, Schlange, Fledermaus, Pinguin, Wal und Elefant an, aber auch die sind ratlos. Letztlich hat ein Mondbewohner den Tipp „Einfach Mama fragen!“ Und so schwebt Minimia wie eine Fallschirmspringerin ohne Schirm zurück in ihr Zimmer, schreit glücklich „Mammmmaaaaa“ und landet auf einem Bücherturm. Im kinderzimmertypischen Chaos entdecken Leser- und Betrachter*innen einen selbstgebastelten Tunnel, den Wal aus einem Puzzle, den Papierflieger und weitere „Zutaten“ aus Minimias Reise. War Minimia gar nicht weg?
Bonilla schafft eine Ode an die Kraft kindlicher Phantasie, die sich auf begrenztem Raum zeitlos entfalten kann. In ihren comicartigen Illustrationen, gestaltet aus Pastell- und Aquarellfarben, liegt der Schwerpunkt auf Mimik, Gestik und allen (un)möglichen Körperhaltungen ihrer Protagonistin. Auf diese Weise setzt sie Minimias Wesen und Einfälle humorvoll ins Bild, ergänzt durch den gezielten Einsatz von Farben und Hintergründen. Vitalität der Minimia-Figur und die Vielfalt ihrer Aktivitäten innerhalb der durchorganisierten Woche heben sich wirkungsvoll farbig vom weißen Hintergrund ab. Die Leere am Sonntag dagegen symbolisiert eine weiße Fläche.
Die Bildgeschichte erschließt sich schon jüngeren Kindern ab 3. Für Schulanfänger bietet Bonilla eine zusätzliche Identifikationsebene, indem sie das Schriftbild aus Gedrucktem und ungelenker Kinderschrift zusammensetzt, so als habe Minimia z. T. ihr Abenteuer selbst aufgeschrieben. Gedehnte oder gestauchte Buchstaben, langgezogene ‚O‘s oder ‚A’s untersetzen graphisch emotionale Reaktionen der Heldin.
Die Bildgestaltung der letzten Doppelseite wiederum lädt zum Vergleich mit dem Anfang ein. Auf der ersten Doppelseite lagen bereits alle Elemente der Phantasie-Geschichte parat, wie z. B. Schere und Farbe für den Tunnel-Karton samt roter Tür. Aber nichts ist mehr am gleichen Platz. So können Leser- und Betrachter*innen ihrerseits phantasieren, wie Minimia vorgegangen sein könnte: bastelnd, malend, puzzelnd … bis hin zum Bücherturmbau. Aber was ist mit dem Auto? Aus den im Bild angebotenen, von Minimia nicht genutzten Dingen könnten Eltern und Kinder, aber auch Literaturvermittler*innen aller Art, die Geschichte weiterentwickeln oder neu und anders bauen, indem sie Minimias Reihenfolge ändern.
(Der Rote Elefant 38, 2020)