Die Prinzessin hat Langeweile. Alle Lieder, Tänze und Geschichten kennt sie schon, und auch das Essen ist eintönig. Wenn sie doch fliegen könnte! Diesen Wunsch kann der König zwar nicht erfüllen, aber ein bis in den Himmel reichender Turm soll Abwechslung schaffen. Baumeister Babel braucht für das Großprojekt jedoch deutlich mehr Arbeitskräfte und Material als vorhanden. So reisen Karawanen mit Menschen, Holz und Steinen aus aller Welt an. Während Herr Babel zunehmend an der „Überfremdung“ seines Vorhabens verzweifelt, ist die Prinzessin begeistert, denn es passiert so viel Neues und Aufregendes …
Altschuler und Nordqvist meistern die Herausforderung, Einwanderung, multikulturelle Gesellschaft und damit verbundene Probleme in einem Bilderbuch zu verhandeln. Dazu nutzen sie gekonnt den Babel-Mythos, der davon erzählt, wie Sprachenvielfalt – und damit Kulturen – entstanden. Mit großer Freude an Absurdität werden kulturelle Unterschiede thematisiert, die bei genauer Betrachtung gar nicht so groß sind. So missfällt Herrn Babel, dass eine Treppe, die nach seinen Plänen nach oben führen sollte, nun nach unten führt. Und als runde Fenster gebaut werden statt eckige, besteht Herr Babel auf den vier Ecken. Das Ergebnis: ein ganz neuer Fenstertyp – der den Baumeister dennoch nicht wirklich versöhnt.
Das Buch beschwört erfreulicherweise keinerlei Multikulti-Romantik. Dass bestimmte Arbeiter an manchen Tagen nicht arbeiten, bleibt ein Problem. Liest man das Turmbau-Projekt als Symbol für eine funktionierende, verschiedene Kulturen integrierende Gesellschaft, so scheint diese noch nicht realisiert: der Turm bleibt unvollendet. Dennoch wird klar: Einflüsse von außen und die Offenheit Neuem gegenüber bereichern das Leben und weiten den Blick auf die Welt – trotz Problemen und Rückschlägen.
Nordqvists Bilder sind weniger detailverliebt als z. B. in den Findus-Büchern. Trotzdem sind viele vergnügliche Entdeckungen zu machen. Seien es die Vielzahl origineller, kulturell differierender Figuren, die verschiedenen (sehr bekannten) Türme, die Herr Babel entwirft, oder eine Katze, die einem gewissen Nordqvist-Kater ähnlich sieht
Die Geschichte besitzt reichlich Diskussionspotenzial und die Bilder bieten zahlreiche Ansatzpunkte, mit dem Buch zu arbeiten. So könnten Kinder eigene (multikulturelle) Turmentwürfe gestalten, Gegenstände und Speisen (gegrillte Grashüpfer!) bestimmten Kulturen zuordnen – vor allem aber aus ihren Heimatländern bzw. denen ihrer Eltern oder Großeltern Geschichten, Lieder, Tänze und Essen vorstellen. Langweilig wird das nicht!
(Der Rote Elefant 37, 2019)