Nordschweden vor mehr als hundert Jahren: Berta lebt mit ihren beiden Schwestern, dem kleinen Bruder und den Eltern auf einem Bauernhof. Die Mutter ist an Schwindsucht erkrankt, der Vater stemmt den Großteil der bäuerlichen Arbeit, doch die Kinder müssen mithelfen. Berta liebt es zu lesen und zu zeichnen. Aus Ton, den sie aus dem Fluss in der Nähe des Hauses holt, formt sie kleine Vögel, die sie der Mutter bringt. Dort, in deren Schlafzimmer, darf sie auch in Ruhe zeichnen. Im Gegensatz zum Vater hat die Mutter Verständnis für Bertas künstlerische Neigungen und lässt sie gewähren. Doch als die ältere Schwester in die Stadt geht und die Mutter verstirbt, muss Berta große Verantwortung für den Haushalt übernehmen. Das liegt ihr nicht. „Ich werde sterben, wenn ich hierbleibe“, sagt sie bei der Aussicht, für immer auf dem Bauernhof leben zu müssen. Eines Tages widersetzt sie sich, allem Unmut des Vaters zum Trotz. Schließlich lässt er sie ziehen – und der Vogel in ihr kann seine Flügel ausbreiten.
Sara Lundberg hat die Kindheitsgeschichte der schwedischen expressionistischen Künstlerin Berta Hansson (1910 – 1994) anhand von Tagebüchern, Briefen, Gemälden und Zeichnungen adaptiert. Sie lässt ihre Berta im Präsens erzählen, mit einem fast sachlich-beschreibenden Ton, der gerade deshalb eine große emotionale Wirkung erzeugt. So offenbart sich eine sensible kindliche Persönlichkeit, die beobachtet, hinterfragt, hofft, trauert, sich anpasst, rebelliert und sich viele Gedanken um ihren Platz in der Welt macht. Tief im Innern weiß sie, dass sie Künstlerin werden will. Damit passt sie nicht in ihre Zeit, in der das Leben auf dem Land schwer und die Zukunft, nicht nur für Mädchen, wegen ökonomischer Zwänge und althergebrachter Traditionen vorherbestimmt war.
Sara Lundberg illustriert ihre Geschichte mit zahlreichen stimmungsvollen, farbigen Aquarell- und Tuschezeichnungen sowie Collagen, die das Buch auch zu einem Bilderbuch werden lassen. Sie schafft perspektivreiche atmosphärische Landschaften, Familienszenen, eindrückliche Porträts und Interieurs. Dabei ließ sich Lundberg auch von Bildern Berta Hanssons inspirieren, so, wenn sie Berta auf der Weide Kühe zeichnen lässt oder Kinder auf dem Schulhof zeigt. Jede einzelne Illustration Lundbergs ist selbst ein Kunstwerk. Bertas Sehnsucht spiegelt sich in den Naturbildern, die sie im Wasser, auf der Weide oder auf ihrem Baum zeigen, auf den sie sich zurückzieht und von dem aus sie in die Ferne sieht.
Immer wieder wird der Blick auf Bertas Hände gerichtet: die Betrachter nehmen dabei Bertas Perspektive ein und schauen auf ihr Arbeitsblatt, sehen, was entsteht. Auch in vielen anderen Bildern haben Hände Symbolkraft, stehen für Berührung, Arbeit, Zärtlichkeit, Strenge, für Verbundenheit und Distanz.
Abgerundet wird diese außergewöhnliche und unbedingt empfehlenswerte erzählende Biografie einer Emanzipation durch ein Nachwort von Alexandra Sundqvist mit Informationen zu und Fotos von Berta Hansson.
Um auf die Geschichte einzustimmen, könnten Kinder mit ihren Händen Vögel aus Ton formen und diesen künstlerisch-sinnlichen Prozess reflektieren.
