„Einfach mit dem Zeichnen anfangen“, so lautet Shaun Tans Rezept, „… wenn man mal wieder auf ein leeres Blatt starrt und einem nichts Originelles einfällt.“ Der Maler und Grafiker Paul Klee nannte diesen Prozess „die Striche spazieren führen“ und auch Tan lädt den Betrachter zu einem solchen Spaziergang ein. Dieser führt durch Bilder und Skizzen der vergangenen 12 Jahre seines Schaffens. Dabei fällt auf, dass Tans Werk in Teilen durchaus an die verspielt-verträumten, kindlich-phantasievollen Zeichnungen Klees erinnert und Tan sich durchaus auf dessen Werk bezieht.
Das Skizzen- und Arbeitsbuch gliedert sich in 4 Teile, die Tan mit knappen erläuternden Texten einleitet: „Unerzählte Geschichten“ repräsentiert eine Auswahl skurriler Figuren (Roboter-Dinosaurier-Geräte-Mischwesen) in abstrusen Situationen aus Tans, von Science Fiction und Fantasy beeinflusstem Ideen-Kosmos. In „Buch, Theater und Film“ ermöglicht Tan einen Einblick in seine Werkstatt und zeigt Vorarbeiten, Skizzen, Storyboards, die man z. B. im Kunstunterricht oder in der Projektarbeit gut mit den Endergebnissen vergleichen oder deren Veränderungen man auf dem Weg dorthin beobachten kann. In „Nach dem Leben gezeichnet“ werden eigenwillige Portraits, Natur- und Stadtlandschaften präsentiert. Ähnliche Arbeiten fanden sich bereits in den Geschichten aus der Vorstadt des Universums (DJLP 2009) und zeigen eine Seite des Künstlers, die in seinen „Bilderbüchern“ weniger zum Tragen kommt. Die „Notizbücher“ schließlich lassen den Betrachter zum Beobachter des Beobachters werden: Ideenfindung, Vorstudien und Notizen zeigen, wie sich Tan Gestalten und Geschichten annähert, Formen und Figuren ausprobiert. Ein ausführliches Werkverzeichnis schließt das Buch ab.
Shaun Tan gewährt mit diesem Katalog freier Arbeiten Einsicht in die Arbeitsweise eines Künstlers, der nicht nur durch seine DJLP-Nominierungen Aufmerksamkeit erregte. Er zeigt, dass eindrucksvolle Bücher wie z. B. Die Fundsache oder Ein neues Land intensive Vorarbeit(en) brauchen. Damit macht er jungen Zeichnern Mut, „einfach mit dem Zeichnen anzufangen“. Erwiesen sich Tans bisherige Veröffentlichungen als wunderbare Erzählanlässe, die dazu einluden, eigene Phantasien mit denen des Künstler zu vergleichen, so bietet Der Vogelkönig viele Möglichkeiten, die hier versammelten „unerzählten“ Geschichten selbst zu erzählen.
(Der Rote Elefant 30, 2012)