In Biologie wählt die 12-jährige Eva das Thema „Biologische Väter“. Damit will sie dem unbekannten Vater näherkommen, den die blonde, hellhäutige Mutter nur „der Kerl“ oder „der Wurm“ nennt. Eva hat dunkle Haut und väterlicherseits einen 11. Zeh. Fundstücke zu Hause und bei Opa erhärten den Verdacht, dass der Vater aus der ehemaligen Kolonie Niederländisch-Guayana, jetzt Suriname, stammt und dorthin zurückgekehrt ist. Beherzt ruft Eva beim TV-Team der Show „Verlorene Zeit“ an, in der Verwandte aufgespürt werden. Da die Mutter ein Pop-Star ist, sagt der Sender prompt zu, aber die Mutter-Tochter-Beziehung steuert in eine Krise. Letztlich darf Eva mit dem TV-Team nach Suriname fliegen, aber die Spur verliert sich. So schlägt sich Eva allein durch den „Urwald“, der den Vater „verschluckt hat“. Dabei gerät sie in gefährliche Situationen und ertrinkt fast. Am Ende stehen sich zwei Fremde gegenüber, aber vielleicht ist dies ein Anfang. Das Resümee auf dem Rückflug lautet: „Durch meine Projektarbeit und meine Expedition habe ich schon was über biologische Väter gelernt, aber noch viel mehr über biologische Töchter, also über mich selbst … oder dass ein Land, in dem man noch nie gewesen ist, doch ein wenig zu einem gehört.“
Psychologisch verknüpft der Autor die Vatersuche mit einer Ich-Findung und Einsichten in die Komplexität von Beziehungen: Evas Handeln zwingt die Mutter zum Sich-Öffnen, die Freundschaft zum Klassenkameraden Luuk bewährt sich trotz Kränkungen am Ende als „echt“. Van der Geests Roman umfasst zwei gleich lange Teile. „Die Projektarbeit“ spielt in den Niederlanden, „Die Expedition“ in Suriname, was Evas Wurzeln Bedeutsamkeit verleiht. Der 1. Erzähl-Teil wird durch Projektseiten mit witzigen, auch sexuell anspielungsreichen Strichzeichnungen unterbrochen, wobei die „Expeditionsausrüstung“ zum 2. Teil überleitet. Neben der Erzählung selbst schreibt Eva Mails an Freund Luuk und SMS an die Mutter, so dass ein vielseitiges Sprachporträt die Ich-Erzählerin charakterisiert. Innerhalb der turbulenten Handlung erfahren Eva und Lesende viel über Verwertungsinteressen von Medien, über die Sklaverei in den niederländischen Kolonien mit Spuren bis ins Heute und über ein eher pragmatisch-magisches Mensch-Natur-Verhältnis in Suriname, woraus auch kontroverse Positionen resultieren. So will ein niederländischer Kameramann keine Kinder „in einer Welt mit all den Kriegen“, ein Surinamer dagegen ist stolz auf seine neun Sprösslinge. In diesem Kontext steht auch Evas 11. Zeh, ein „Zusatz“, der in Suriname als magisch besetzt gilt. Bei Eva juckt er, wenn etwas nicht echt ist oder gelogen. In welchen Situationen spürt Eva den Zeh? Und: Ist dies darin hilfreich oder eher hinderlich?
(Der Rote Elefant 40, 2022)