Name: Felix Fredrik Knutsson; Alter: 12; Elternteil/Vormund: Astrid Anna Knutsson; Adresse: OFW … So steht es im Bericht der Polizeiwache in Vancouver, womit Handlungsort und Hauptfiguren des Buches eingeführt sind – Felix und seine Mutter Astrid –, vor allem aber ihre Anschrift: „OFW“. Dazu Felix: „Ich bin ziemlich gut im Entziffern von Akronymen, und dieses hatte ich, unter den gegebenen Umständen, umgehend raus. Ohne festen Wohnsitz.“ Felix hat mit „Astrid“, weil „Mom“ für sie zu hierarchisch klingt, eine Wohnungs-„Odyssee“ hinter sich. Da die manisch-depressive Astrid nicht sehr geschickt im Behalten ihrer diversen Jobs ist, kommen beide in immer größere Finanznot, wobei die Wohnungen den sozialen Abstieg markieren: Aus dem geerbten Haus von Felix` Großmutter ziehen sie in eine Mietwohnung, dann in ein Kellerzimmer, letztlich hausen sie in einem Westfalia-Minibus. „Es ist ja nur vorübergehend“ und „Das wird schon“ sind Sätze, die Felix immer wieder von der Mutter hört. Überdies hat Astrid großes Talent zum Lügen, da niemand erfahren soll, dass sie im Prinzip obdachlos sind. Auch Felix belügt in diesem Sinne seine Freunde Dylan und Winnie. Geht ihm die neunmalkluge Winnie anfangs ziemlich auf die Nerven, denkt er später über sie: „Sie irritierte mich noch immer. Aber gleichzeitig löste sie ein warmes Glücksgefühl in mir aus.“ Als sich die Lage für Astrid und Felix immer mehr zuspitzt und diese auch vor Dylan und Winnie nicht mehr zu vertuschen ist, soll ein hoher Gewinn bei der Juniorausgabe von Felix` Lieblings-Quiz-Sendung „Wer, was, wo, wann“ das Geldproblem lösen. Aber ist das eine wirkliche Lösung?
Die preisgekrönte Autorin Susin Nielsen erzählt in ihrer sozialkritischen Studie unsentimental, eindringlich und spannend davon, wie es Menschen ergeht, die arm sind und keine feste Bleibe haben. Dabei thematisiert sie nicht die offen sichtbare Obdachlosigkeit, sondern die verdeckte, extrem schambehaftete. Scham begleitet ihren Helden Felix durch die ganze Geschichte, wobei es Nielsen aufgrund der überzeugenden Ich-Perspektive gelingt, viele im Kern tragische Ereignisse durch Situationskomik aufzulockern. Damit kann sich Felix der Empathie der Leser*innen sicher sein. Nielsens Freundschaftsmotiv vermittelt, dass in emotional belastenden Situationen nichts so wichtig ist, wie Menschen um sich zu haben, die einem helfen.
Der o. g. Polizeibericht könnte als Einstieg in eine Buchvorstellung dienen. Was bedeutet als Adresse „OFW“? Zur weiteren Beschäftigung hat der Verlag im Anhang einige Ideen aufgelistet, z. B. über die Motive Scham und Schuld zu diskutieren.
(Der Rote Elefant 39, 2021)