„Mutter sagt: Meine Milch ist versiegt, deshalb weint es.“ Also sucht Zknapi nach einem Weg, um dem hungernden Brüderchen zu helfen. Doch der Diebstahl des lebensnotwendigen Milchpulvers endet mit der Flucht über ein vermintes Feld, wo Zknapi getötet wird.
Tamta Melaschwili erzählt mit außergewöhnlicher Sprachkraft die Geschichte zweier 13jähriger Mädchen. Ninzo, die Vorlaute, schnoddrig Freche, weiß ihre weiblichen Reize auch bei den feindlichen Wachposten einzusetzen. Zknapi, die mädchenhaft Kleine, ist zurückhaltener und ein wenig neidisch auf den Busen der Freundin. Beide leben mitten im Krieg, in einer osteuropäischen Konfliktzone, die geographisch nicht näher bestimmt ist. Das Dorf ist von der Außenwelt abgeriegelt. Einige Bewohner konnten rechtzeitig fliehen, doch Schwangere, Alte, Verwirrte, Kinder sind noch da. Hunger quält die Menschen, sie vegetieren dahin in einer Nichtzeit. Doch das Leben geht weiter. Zknapi und Ninzo plündern verlassene Häuser, kümmern sich um ihre Lieben, schmuggeln Rauschgift. Sie sind konfrontiert mit Angst und Verrohung, mit Gottesgläubigkeit und Gewalt, mit Tod und Sterben. Sie versuchen, jüngere Kinder vom Spiel mit einer Soldatenleiche fernzuhalten, prügeln sich mit Tierquälern, streiten, weinen, geben einander Hoffnung wider Trostlosigkeit und Verzweiflung.
Die Ereignisse an vier Tagen ‒ Mittwoch bis Samstag ‒ werden aus Zknapis Perspektive nichtchronologisch wiedergegeben. Es sind verstörende Momentaufnahmen, Erinnerungsfetzen … Es wird im Präsens erzählt, was dem Text eine große Unmittelbarkeit verleiht. Verstärkt wird diese durch ein rhythmisches, überwiegend direkt dialogisches Erzählen, das ohne Anführungsstriche auskommt (Sagt Ninzo … sag ich …). Am dritten Tag stirbt Zknapi und doch liest man ihren Satz: „Samstag. Mutter sagt: Helft mir, ihr Leute, helft mir, wenigstens das eine zu retten.“ 20 Jahre später ist aus der Konfliktzone eine Grenzzone geworden, Zknapis Mutter und Bruder haben überlebt, Ninzo, die ins Ausland gelangte, ist zurückgekehrt, um sich zu erinnern.
Melaschwilis Text ist sowohl von hoher sprachlicher und literarischer Qualität als auch von brennender politischer Aktualität. Exemplarisch für alle Kriege und jede Art von Ausgrenzungen, gespiegelt in immer perfekteren Grenzanlagen, werden nicht nur die Folgen für einzelne Menschen, sondern die Menschheit insgesamt thematisiert ‒ und das auf eindringliche, ergreifende Weise. 2011 wurde das Buch zurecht als bester Debütroman mit dem Georgischen Literaturpreis Saba ausgezeichnet und 2013 mit dem DJLP, Sparte Jugendbuch.
(Der Rote Elefant 31, 2013)