Hinnerk fehlt der Vater. Dieser ist im letzten Sommer auf einem Kanu einfach weggepaddelt. Auch Paul ist ohne Vater. Die Jungen freunden sich an. Hinnerks Vater hat dem Sohn eine Postkarte geschrieben ‒ ohne Absender. Das weiße Haus auf der Karte gibt einen Anhaltspunkt. Mit Hilfe eines Dorfbewohners setzt Hinnerk bei der Mutter durch, dass Paul und er für ein paar Tage flussabwärts zur Vogelinsel reisen dürfen, wo er das weiße Haus und den Vater vermutet.
Reise und Aufenthalt auf der Insel (nach Herkunft des Autors im Weser-Gebiet gelegen) sind ein Sommerabenteuer. Die beiden etwa Elfjährigen genießen die Ungebundenheit und kommen mit dem Leben in freier Natur zunehmend besser zurecht. Sie lernen, wie man z. B. ein Feuer entfacht oder einen Fisch tötet. Beim Absuchen der Insel begegnen sie als einzigem Menschen einem Falkner, an dessen ehemaliger Falknerschule die weiße Farbe inzwischen abblättert. Durch ihn erfahren sie so einiges …
Der Autor nimmt sich in seinem Erstlingswerk des Themas „Aufwachsen ohne Vater“ an. In beiden Jungen spiegelt er gegenläufige Bewältigungs-„Strategien“. Paul mochte den Schmerz-Verursacher am liebsten vergessen und fragt provozierend, wozu Väter denn wichtig seien. Ich-Erzähler Hinnerk hingegen will Verhaltensweisen verstehen und ein „Sohn“ bleiben. Er beobachtet, wie früher zusammen mit dem Vater, die Falken in ihrem Nest am Kirchturm und überlegt, ob auch Menschen wie Zugvogel seien und einfach fortziehen, „wenn ihre Zeit da ist“. Allerdings: Das Junge, das der Falkner aufzieht, hat einen „Ersatzvater“ gefunden und lernt von diesem zu fliegen.
Falken durchziehen als reale Vögel und als Metapher die gesamte Geschichte. Ausgesprochen geschickt und feinsinnig verknüpft der Autor Natur, Landschaft und Wesen mit menschlichen Erfahrungen. Dabei erzählt er, sich in seinen sensiblen Protagonisten versetzend, reduziert und in scheinbar einfacher, manchmal etwas altertümlich anmutender Sprache. Der gemäßigte Erzählfluss spiegelt gleichsam das Tempo, in welcher die Psyche Verletzungen verarbeiten kann. Das Buch zu lesen wünscht man nicht nur (allen) Kindern, sondern ganz besonders auch Vätern.
(Der Rote Elefant 31, 2013)